Die meisten Menschen denken an kleine, glitschige Sauger, wenn sie Blutegel hören. Doch in den knapp drei Zentimeter langen Tierchen steckt viel mehr. In der Medizin leistet der Hirudo medicinalis (die lateinische Bezeichnung) wertvolle Dienste. Das Geheimnis der kleinen Helfer ist ihr wirkungsvoller Speichel, der entzündungshemmende, gefäßweitende, entkrampfende und schmerzlindernde Substanzen enthält. Als Hauptwirkstoff haben Wissenschaftler das Enzym Hirudin nachgewiesen. Dieser Eiweißstoff wird beim Saugen in die Wunde gegeben und hemmt die Blutgerinnung. Im Speichel kommen noch weitere Wirkstoffe vor, wie zum Beispiel Eglin, Bdellin, Hementin oder Apyrase. Alle zusammen regen sie die Fließeigenschaften von Blut und Lymphen an und wirken antientzündlich und abschwellend.
„Aufgrund der zahlreichen effektiven Inhaltsstoffe wird der Blutegel oft als lebende Miniapotheke bezeichnet“, weiß Mira Wehde, Physiotherapeutin im Zentrum für Komplementäre Medizin am Klinikum St. Georg. „Die Blutegeltherapie ist besonders schonend und wird beispielsweise bei lokalen Entzündungen, Durchblutungsstörungen sowie chronischen Beschwerden an Gelenken, Muskeln, Sehnen und Bändern angewendet. Zum Einsatz kommt das Verfahren insbesondere dann, wenn die medizinische Standardtherapie an ihre Grenzen stößt oder diese schwerwiegende Nebenwirkungen nach sich zieht.“ Leiden die Patienten jedoch an Blutgerinnungsstörungen oder schweren Nieren- und Lebererkrankungen, ist die Therapie mit Blutegeln nicht geeignet.
Sanftes Verfahren ohne ernsthafte Nebenwirkungen
Die Behandlung ist unkompliziert: Das Alter des Patienten, dessen Ernährungszustand und das Krankheitsbild entscheiden über die Anzahl der Blutegel, die auf die Haut aufgesetzt werden. „Der therapeutische Helfer beißt sich dann fest und beginnt zu saugen“, erläutert Mira Wehde den Ablauf. Der Biss selbst ist vergleichbar mit dem Stich einer Mücke oder der Berührung mit einer Brennnessel. „Ich hatte am Anfang wirklich meine Bedenken, die Tierchen auf meinen Körper zu lassen. Aber es hat nur ein kleines Bisschen gezwickt, als sich die Blutegel auf meiner Haut festgesetzt haben“, erinnert sich Heidelinde Klein, die seit Jahren an mehreren Gelenken an Arthrose (chronische Erkrankung) leidet. Sie hat sich im Sommer 2013 mit den Blutegeln am Kniegelenk behandeln lassen.
Für die Therapie sollte man ausreichend Zeit einplanen, denn erst wenn der Wurm voll gesaugt ist, lässt er von alleine los und fällt von der Haut ab. Zwischen 30 bis maximal 90 Minuten dauert der Saugvorgang. Der Patient sitzt oder liegt während der Behandlung möglichst bequem und entspannt. „An der Saugstelle bleibt eine kleine, sternförmige Wunde zurück, die man noch einige Zeit nachbluten lässt, um den positiven Effekt zu nutzen“, so Mira Wehde. „Danach legen wir einen lockeren Verband an.“ Damit sich die Wirkung der Blutegeltherapie auch voll entfalten kann, muss sich der Patient im Anschluss Ruhe und Erholung gönnen. „Über ernste Nebenwirkungen klagen die Behandelten insgesamt kaum“, ergänzt Mira Wehde. „Auftreten können Rötungen, Jucken und Brennen.“ Heidelinde Klein hatte keine Probleme nach der Behandlung. „Ich habe lediglich ein bis zwei Tage danach gespürt, dass das Gelenk arbeitet“, beschreibt die 62-Jährige, die trotz Arthrose bis heute keine Schmerzen mehr am Kniegelenk hatte.
Für die Therapie werden ausschließlich gezüchtete Blutegel verwendet. Aus hygienischen Gründen kommt jeder Wurm nur einmal zum Einsatz.
Die überwiegende Zahl der Patienten verspürt bereits nach der ersten Behandlung eine erhebliche Besserung der Beschwerden, die auch mehrere Monate anhält. Lässt die Wirkung nach, kann die Blutegeltherapie wiederholt werden.
Erhöhte Heilungschancen durch die Kombination mit Osteopathie
Je nach Art des Leidens ist oft eine weiterführende osteopathische Therapie sinnvoll. Insbesondere bei Abnutzungserscheinungen des Bewegungssystems, sogenannten Arthrosen, können die erheblichen Schmerzen gemindert werden. Durch gezielte osteopathische Untersuchungen können die Ursachen, die zu der Arthrose geführt haben, aufgezeigt und behandelt werden.
Wer sich für die Blutegeltherapie und Osteopathie interessiert, kann telefonisch im Zentrum für komplementäre Medizin einen Untersuchungs- und Aufklärungstermin vereinbaren. Ein bis zwei Wochen nach der Blutegeltherapie kann schließlich die Behandlung mittels Osteopathie beginnen.