Lässt sich ein Tumor operativ entfernen, gilt dies bei vielen Krebsarten als die erfolgversprechendste Behandlungsmethode. Nun gibt es aber bei Blutkrebs in der Regel keinen Tumor, den man entfernen könnte, um die Erkrankung damit ausreichend zu behandeln. Deshalb sind hier andere Methoden gefragt, mit denen sich Dr. Christian Schmidt, Leitender Oberarzt der Klinik für Internistische Onkologie und Hämatologie, bestens auskennt.
Das Hämatoonkologische Zentrum punktet wie so viele Krebszentren am Klinikum St. Georg mit einer guten interdisziplinären Zusammenarbeit. Auch Dr. Schmidt betont, wie hilfreich es ist, so viele Spezialisten direkt vor Ort zu haben. So kommt es zum Beispiel vor, dass an der regelmäßig stattfindenden hämatologischen Tumorkonferenz auch Fachdisziplinen teilnehmen, die sich nicht ausschließlich mit der Behandlung von Krebserkrankungen befassen. „Bei Krebserkrankungen, die von Blut- oder von Knochenmarkzellen ausgehen, ist nicht selten ein enger Austausch zum Beispiel mit der Abteilung für Rheumatologie oder den Kliniken für Nephrologie oder auch Unfallchirurgie wichtig“, erläutert Dr. Schmidt. „Auf diese Weise wollen wir unseren Anspruch einer ganzheitlichen Betrachtung des Patienten erfüllen.“
„Patienten möchten immer gern wissen: Warum gerade ich?“, berichtet Dr. Schmidt. „Diese Frage ist oft gar nicht zu beantworten.“ Es sind zwar gewisse Risikofaktoren bekannt und auch wissenschaftlich belegt, aber häufig ist die Ursache nicht genau oder gar nicht zu benennen. Zu den Risikogruppen gehören beispielsweise Personen, die radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren oder beruflich viel mit bestimmten Giftstoffen zu tun hatten. Auch Menschen, die als Kinder oder Jugendliche bereits eine Radiooder Chemotherapie durchlaufen haben, sind gefährdeter. „So ist zum Beispiel der größte Risikofaktor für eine bestimmte Form der akuten Leukämie das Alter — mit steigendem Alter steigt auch das Risiko“, so Dr. Schmidt. Nicht zuletzt spielen genetische Faktoren eine Rolle, wobei die Erkenntnisse hierzu in den letzten Jahren stark gewachsen sind. Und natürlich das Rauchen — das gilt für so viele Erkrankungen. Vorbeugend kann „nur“ ein allgemein gesunder Lebenswandel sein: ausgewogene Ernährung, kein oder wenig Alkohol, kein Nikotin, ausreichend körperliche Bewegung.
Erste mögliche Anzeichen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit oder die Neigung zu Infekten sind oft so unspezifisch, dass Ärzte daraus noch nicht auf Blutkrebs schließen können. Kommen Patienten aber wiederholt mit solchen Beschwerden und berichten dann vielleicht noch, dass sie in letzter Zeit mehr blaue Flecke hatten als üblich, kann das ein Indiz sein. Dann wird ein Blutbild angefertigt, um deutlichere Anzeichen wie Blutarmut oder zu viele oder zu wenige weiße Blutkörperchen zu erkennen. Anschließend werden weitere Laboruntersuchungen und eventuell auch eine Ultraschall- oder CT-Untersuchung gemacht. Mit dem Verdacht auf eine Blutkrebserkrankung kommt der Patient dann ins St. Georg, wo weitere Untersuchungen stattfinden: umfangreiche Labordiagnostik und zum Beispiel eine Knochenmarkpunktion. „Hier können wir dann ganz genau schauen, wie die Zellen aussehen, welche Merkmale sie haben und welche genetischen Veränderungen vorhanden sind“, erläutert Dr. Schmidt. „Spezielle Färbungen und Hightech-Mikroskope helfen uns dabei, genaue Bestimmungen vorzunehmen.“ Zur Diagnostik und zur Behandlung gehört auch, den Patienten ganzheitlich zu betrachten. Es reicht nicht, mit Scheuklappen nur auf die Symptome oder die Zellen zu schauen: Der ganze Mensch mit seiner Genetik und seiner Lebensweise spielen eine Rolle. Dr. Schmidt verweist in diesem Zusammenhang auf den Satz des bedeutenden Arztes der Antike Hippokrates: Es ist wichtiger zu wissen, welche Person eine Krankheit hat, als welche Krankheit eine Person hat. „Jeder bringt individuelle Voraussetzungen mit, die beeinflussen, wie sich Krankheiten ausprägen“, erläutert der Arzt.
Liegen alle Befunde vor, beginnt die individuell auf den Patienten abgestimmte Behandlung. Dabei geht es häufig um komplexe Therapien, die nicht nur Chemotherapie, sondern zunehmend auch ein mittlerweile sehr breites Spektrum an Immuntherapien oder sogenannten zielgerichteten Therapien enthalten können. Die Forschung schreitet in diesem Bereich rasant voran. Zielgerichtete Therapien sind zum Beispiel Therapien, die auf ein spezielles, individuelles Merkmal der Erkrankung ausgerichtet sind. Zudem gibt es beispielsweise spezielle Eiweiße, die an die Krebszelle andocken, ein Chemotherapeutikum in die Zelle lotsen und sie dadurch gezielt abtöten. Mit Hilfe der Immuntherapie können körperfremde Zellen — also die Krebszellen — als solche enttarnt und dann vom eigenen Immunsystem bekämpft werden. Der Vorteil der Immuntherapien ist, dass sie sehr viel gezielter wirken als herkömmliche Chemotherapien, bei denen der gesamte Körper mehr belastet wird. Sowohl die Chemo- als auch die verschiedenen Immuntherapien werden jedoch individuell auf den Patienten zugeschnitten, mit den Wirkstoffen, die genau den vorliegenden Krebs bekämpfen. „Wir haben hier ein weites Feld an Therapiemöglichkeiten“, so Dr. Schmidt. „Neben den genannten Therapiekonzepten spielen in der Behandlung von Blutkrebserkrankungen auch die Stammzelltransplantation und nur bei sehr speziellen Fragestellungen auch die Bestrahlung eine Rolle. Nur die klassische OP für die Tumorentfernung, wie sie bei vielen Organkrebserkrankungen Bedeutung hat, ist bei Blutkrebs nicht möglich.
Die Nachfrage nach unterstützenden Therapien aus der Naturheilkunde oder der traditionellen chinesischen Medizin steigt. Dies sind zwei Bausteine der sogenannten „Integrativen Onkologie“. Bei diesem Konzept werden auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende naturheilkundliche und komplementärmedizinische Therapien als Ergänzung zur laufenden Therapie eingesetzt. Dabei geht es vordergründig um das Lindern von Symptomen und um die Verbesserung der Lebensqualität. „Ebenso wichtig ist der Punkt Selbstfürsorge“, erläutert der Arzt. „Wir möchten den Patienten befähigen, sich mit seiner Erkrankung auseinanderzusetzen und an der Therapie aktiv teilzunehmen. Daher gehören auch Tipps und Anleitungen für Bewegung und Ernährung.“ Mitunter hilft es den Patienten sehr, wenn sie das Gefühl haben, auch selbst an ihrer Heilung mitzuwirken und nicht nur passiv einer Therapie ausgesetzt zu sein. Aktuell arbeitet die Klinik an einer digitalen Plattform, auf der sich die Patienten über diese Therapiekonzepte informieren und mit den Ärzten in den Austausch gehen können.