Die Klinik für Infektiologie/Tropenmedizin, Nephrologie und Rheumatologie am Klinikum St. Georg in Leipzig hat gemeinsam mit dem weltweit führenden Proteomlabor Mosaiques Diagnostics (Hannover) einen Urin-Test entwickelt, mit dem sich die Schwere einer SARS-CoV-2-Infektion prognostizieren lässt. Damit könnte für Erkrankte frühzeitig eine geeignete Therapie erfolgen, mit welcher der Verlauf der Krankheit deutlich gemildert werden kann.
Herr Prof. Dr. Beige, was genau verrät der Corona-Test Ihrer Klinik?
Der Urinproteomtest erlaubt eine Prognose darüber, wie schwer der Verlauf einer COVID-19-Erkrankung bei der getesteten Person sein wird. Wir können also eine sehr genaue Risikoeinschätzung vornehmen und abschätzen, ob der Patient nur einen Schnupfen hat oder unter einem schwereren Verlauf leiden wird.
Was bringt dieses Wissen praktisch?
Die Prognose ist in zweierlei Hinsicht sehr nützlich. Einerseits wissen wir dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit, welche Patienten im Lauf der Erkrankung auf der Intensivstation behandelt werden müssen und welche daheim bleiben können. Andererseits, und dieses Wissen steht mittlerweile im Vordergrund, können wir so frühzeitig die geeignete Therapie einleiten. Das ist vor allem deswegen so wichtig, weil die Medikamente, die uns bisher zur Verfügung stehen, nur dann wirklich wirksam sind, wenn sie rechtzeitig während der Phase der Virusvermehrung verabreicht werden.
Lässt sich die Prognose über die Schwere des Krankheitsverlaufs nicht auch anhand von Risikofaktoren wie Vorerkrankungen und dem Alter der Patienten treffen?
Durchaus nicht immer und mit den jetzt auftretenden Virusvarianten wird diese Einschätzung noch etwas schwieriger. Es ist immer wieder erschreckend, wenn man mitbekommt, wie sich bei eigentlich gesunden Patienten äußerst schwere Verläufe entwickeln. Wir sehen auf unserer Intensivstation auch sportliche Mittvierziger ohne Vorerkrankungen mit schweren Krankheitsverläufen und wissen zugleich von 99-jährigen Erkrankten mit Diabetes, die nur einen Schnupfen haben. Warum diese Ausnahmen von der an sich zuverlässigen statistischen Regel der Altersabhängigkeit auftreten, konnte bisher noch niemand erklären. Gerade für diese Fälle ist unser Test wichtig. Sonst kann es passieren, dass Menschen, die vermeintlich zu keiner Risikogruppe gehören, zu spät behandelt werden. Wir wissen heute, dass in der ersten Phase der Erkrankung alles Sinn ergibt, was die Virusvermehrung verlangsamt. In der zweiten Phase, wenn die Patienten schwer erkranken und das Immunsystem überreagiert, ist es für den Einsatz virusvermindernder Medikamente leider zu spät. Da das Virus uns noch länger beschäftigen wird, ist es sehr wichtig, dass wir lernen, zu therapieren.
Wie funktioniert der Test eigentlich?
Wir können bei unserem Testverfahren auf jahrelange Vorarbeit zurückgreifen, denn die Methodik ist natürlich für viele Arten von Erkrankungen höchst interessant und vielversprechend. Wir machen uns dabei zunutze, dass Urin Eiweißbruchstücke enthält, die bestimmte biochemische Verteilungsmuster haben. Diese Muster geben zuverlässig Auskunft über verschiedene Krankheiten. Diese Mustererkennung funktioniert auch bei Corona-Infektionen, denn bei deren Beginn wird Lungen- und Blutgefäßgewebe angegriffen, das daraufhin kaputt geht und in Form von Eiweißbruchstückchen über die Niere im Urin ausgeschieden wird. Weil jedes Organ ein eigenes Eiweißverteilungsmuster hat, können wir digital mit Methoden der künstlichen Intelligenz den zukünftigen Schweregrad der Erkrankung ableiten und dann idealerweise innerhalb von 72 Stunden die richtige Therapie wählen.
Der Zeitpunkt der Testung ist also entscheidend.
So ist es. Im Grunde zählen hier jeder Tag und jede Stunde, denn wenn der Patient schon im Krankenhaus ist, ist es meistens bereits zu spät, um wirksame Medikamente zu verabreichen. Der Test muss also möglichst früh nach der bestätigten Infektion erfolgen. Deswegen ist es für uns besonders wichtig, mit potenziellen Partnern wie Arztpraxen und Apotheken zusammenzuarbeiten, die bereits in der frühen Phase der Infektion die Möglichkeit haben, die Erkrankten zu testen. So können wir hoffentlich Leben retten und schweren Verläufen mit erheblichen Langzeitwirkungen vorbeugen.