Auf das Herz hören – Kardiologische Erkrankungen können jeden treffen

November 01, 2020
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Mehr als 300.000 Menschen erleiden in Deutschland jedes Jahr einen Herzinfarkt. Besonders betroffen sind Personen, die unter Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Übergewicht und Stress leiden. Aber auch Menschen, die scheinbar kerngesund sind, können einen Herzinfarkt bekommen. Umso wichtiger ist es, mögliche Vorboten eines Herzinfarktes ernst zu nehmen. Diese Erfahrung machte auch Simone Kaufmann*, deren Herz während einer Radtour einfach aufhörte zu schlagen.

Die Sonne schien, das Wasser am Schladitzer See in Leipzig funkelte und es war angenehm warm. An mehr kann sich ­Simone Kaufmann nicht erinnern. Nach dem Frühstück hatte sich die sportliche 42-Jährige spontan zu einer Radtour um die Schladitzer Bucht entschlossen. „Irgendwann auf dem Weg um den See muss ich starke Schmerzen bekommen haben, vom Fahrrad abgestiegen sein und mich ins Gras am Wegrand gelegt haben.“ Kurz danach hörte ihr Herz auf zu schlagen. Sie kann heute davon erzählen, weil sie an diesem Tag unglaubliches Glück ­hatte.

Das Herz stand still

Denn eine gute Freundin und deren Bekannte joggten zur selben Zeit zufällig um den See und sahen Kaufmann bewegungslos im Gras liegen. „Wie lange mein Herz da schon nicht mehr schlug, weiß ich nicht mehr“, sagt die Leipzigerin. Ihre Freundin erzählte ihr später, dass ihr Gesicht sich bereits blau verfärbt hatte. Was nun begann, war ein Wettlauf mit dem Tod. Die zwei Frauen reanimierten Simone Kaufmann sofort und wählten die 112. Neun Minuten lang drückten sie Kaufmanns Brustkorb etwa 100mal pro Minute und etwa 5 cm ein und führten nach jeweils 30 Kompressionen des Brustkorbes zweimal eine Mund-zu-Mund-Beatmung durch. Dabei wechselten sie sich gegenseitig ab. Währenddessen stand der Notarztwagen an der Zufahrt zum See vor verschlossenen Schranken. Also griff sich die Notärztin beherzt das Mountainbike eines Radlers und fuhr mit dem Defibrillator so schnell sie konnte los. Sie kam rechtzeitig an und beendete das anhaltende Kammerflimmern der Patientin durch einen Elektroschock. Danach gelang es ihr, durch das Fortführen der Herz-Druck-Massage, Intubation und Beatmung das Herz von Simone Kaufmann wieder zum Schlagen zu bringen. „Das nächste, woran ich mich erinnern kann, ist wie ich in einem Krankenhausbett lag und Ärzte und Schwestern vor mir standen“, erzählt die Mutter zweier Söhne im Kindergartenalter. Und sie erinnert sich an diesen belastungsabhängigen Schmerz, der sie vor ihrem Herzstillstand seit einem Jahr begleitet hatte. „Ich hatte starke Schmerzen in der Brust und im linken Arm“ erzählt Simone Kaufmann. „Aber die Ärzte konnten sich nicht vorstellen, dass ich körperlich krank war, weil ich sehr sportlich und durchtrainiert bin und zu keiner Risikogruppe gehöre.“ Stattdessen vermuteten sie eine psychische Ursache. „Diese Diagnose hat sich aber für mich nicht richtig angefühlt.“

Claudia Lucca | shutterstock.com

 

Diese Symptome können auf eine Durchblutungsstörung des Herzkranzgefäßes hindeuten:

  • Belastungsabhängig auftretendes Druckgefühl hinter dem Brustbein mit Ausstrahlung in den Hals, die linke Schulter oder den Magen
  • Kurzatmigkeit bis hin zu starker Atemnot, auch bereits bei leichter körperlicher Betätigung
  • Herzrasen oder Herzstolpern

 

 

 

Schutzengel und Spezialisten

„Bereits im Rettungswagen“, so erklärt Dr. Martin Ludewig, Leiter der In­ternistischen Intensivstation, „konnte nach Wiederherstellen eines stabilen Rhythmus im Zwölfkanal-EKG erkannt werden, dass die Ursache des Kammerflimmerns ein akuter Vorderwandinfarkt war.“ Daraufhin wurde unmittelbar die Zentrale Notaufnahme des Klinikums St. Georg und der diensthabende Kardiologe informiert. So konnte Simone Kaufmann direkt in das Herzkatheterlabor der Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin gebracht werden. Ab hier betreute sie der interventionell tätige Kardiologe Oberarzt Dr. Oliver Spies und der Intensivmediziner der Klinik. Ohne weiteren Zeitverzug konnte in der akut durchgeführten Herzkatheteruntersuchung die für den Herzinfarkt verantwortliche hochgradige Verengung einer Herzkranzarterie mit einem Stent versorgt werden und somit die regelrechte Durchblutung des Herzmuskels wieder hergestellt werden. Um die Gefahr eines Hirnschadens zu minimieren, der nach einer so langen Reanimation möglich wäre, legten sie zudem einen Kühlkatheter. Die therapeutische Kühlung erfolgte über 24 Stunden bei 33°C. Nachfolgend konnte die ins Koma versetzte Patientin langsam wieder erwärmt und ein schonender Aufwachprozess eingeleitet werden. Glücklicherweise blieben bei Simone Kaufmann keine dauerhaften neurologischen Schäden zurück. Damit eine Krankheit wie jene von Simone Kaufmann rechtzeitig diagnostiziert wird, ist es lebenswichtig, die Symptome ernst zu nehmen. Deswegen betont Dr. Ludewig: „Auch wer ein gesundes Leben führt, sportlich ist und keine bekannte Vorerkrankung hat, kann lebensbedrohlich am Herzen erkranken. Darum sollte man bei entsprechenden Symptomen besser zu einem Facharzt gehen und auch nicht davor zurückscheuen, eine Zweitmeinung einzuholen. Schließlich geht es um das wertvollste, was man besitzt – das eigene Leben.“ Symptome wie das Druckgefühl hinter der Brust bei körperlicher Belastung, sowie das rasche Herzklopfen, weswegen sie vom Rad absteigen musste, sind typisch für diese Erkrankung der Herzkranzgefäße. Erkennt man sie aber früh genug, kann man sie gut behandeln. Den Wert des eigenen Lebens schätzt auch Simone Kaufmann höher als je zuvor. „Ich weiß, dass ich ein Riesenglück und tolle Schutzengel hatte. Dafür bin ich meiner Freundin und Frau Dr. Klose, die mich reanimiert haben, Herrn Dr. Spies und Frau Dr. Fabian vom St. Georg und meiner Physiotherapeutin unendlich ­dankbar.

*Name von der Redaktion geändert

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