Es werde Licht – auch im Winter!

November 01, 2022
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Die saisonal abhängige Depression (Winterdepression) ist eine Unterform der depressiven Erkrankung, die explizit im Herbst und Winter auftritt. Dabei ist es wichtig, Symptome frühzeitig ernst zu nehmen und rechtzeitig zu handeln.

Wenn erst der graue Herbst und später der kalte Winter hereinbricht, werden die Tage kürzer und dunkler, das Wetter ist oft nasskalt. Kurzum: Im Freien ist die Lage eher ungemütlich. Kein Wunder, dass sich viele Menschen lieber in die eigenen vier Wände zurückziehen und im Vergleich zu den wärmeren Monaten wesentlich weniger an der frischen Luft und im Grünen unterwegs sind. Doch das hat Folgen: „Der Mangel an natürlichem Tageslicht ist die Hauptursache für eine saisonal abhängige Depression“, weiß Dr. med. Peter Grampp, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Fachkrankenhauses Hubertusburg. Denn in der lichtarmen Zeit gerät die Melatonin- und Serotonin-Produktion in Schieflage und damit auch der Tag-Nacht- Rhythmus. Durch einen tagsüber erhöhten Melatoninspiegel erhöht sich nämlich das Schlafbedürfnis. Ein gestörter Hormonstoffwechsel ist ein zweiter Indikator für eine sich anbahnende saisonal abhängige Depression (Winterdepression). Mit einer gesunden Ernährung sowie bestimmten Nahrungsinhaltsstoffen – wie dem Eiweißbaustein Tryptophan und der Aminosäure Tyrosin – kann die körpereigene Produktion des Gute-Laune-Hormons Serotonin angekurbelt werden. Auch Johanniskraut ist ein Medikament, das sich bei einer saisonal abhängiger Depression bewährt hat.

Eine Frau sieht nachdenklich aus dem Fenster.

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Herbstblues, Wintermelancholie und Depression

Zwischen vier und 18 Prozent der deutschen Bevölkerung haben jährlich mit einer Art saisonal abhängige Depression zu kämpfen. Ein Großteil der Betroffenen schüttelt den sogenannten Herbstblues, der mit schlechter Laune und Lustlosigkeit einhergeht, bereits nach wenigen Tagen wieder ab, ohne ihn groß bemerkt zu haben. Analog verhält es sich mit der Wintermelancholie, die besonders zur Weihnachtszeit auftritt. „Zum Jahresende werden wir ruhiger und nachdenklicher, das ist eine ganz normale menschliche Reaktion und kein Grund zur Besorgnis“, beruhigt Chefarzt Grampp. Einige Betroffene schlagen sich hingegen mehrere Wochen mit der saisonal abhängigen Winterdepression herum. Während ein Waldarbeiter von Berufs wegen viel an der frischen Luft ist, sind beispielsweise Büroangestellte anfälliger für eine Winterdepression. „Bereits der Arbeitsplatz kann erste Aufschlüsse hinsichtlich der Anfälligkeit geben, eine saisonal abhängige Depression zu bekommen“, erklärt der Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Fachkrankenhauses Hubertusburg und fügt sogleich hinzu, dass die Symptome im Frühjahr und Sommer bei den meisten von allein wieder abklingen. Im Vergleich zu einer ganzjährigen Depression fallen zwei Unterschiede auf: Wer unter einer Winterdepression leidet, der hat Heißhunger auf Süßigkeiten und Schokolade und nimmt an Gewicht zu. Bei einer ganzjährigen Depression tritt Appetitverlust, also genau das Gegenteil, auf. Ein zweiter markanter Unterschied zeigt sich beim Blick auf die Schlafarchitektur: Bei einer saisonal abhängigen Depression schlafen Betroffene sehr schlecht ein, dafür aber viel zu lange. Bei einer ganzjährigen Depression schläft man weder gut ein noch durch. Weitere Erkennungsmerkmale einer Winterdepression sind Erschöpfung, Energielosigkeit, Unausgeglichenheit und gedrückte Stimmung, auch alltägliche Abläufe fallen plötzlich schwer.

Licht als Therapie

Dr. Grampp empfiehlt im Herbst und Winter Spaziergänge an der frischen Luft. Denn selbst wenn sich der Himmel bedeckt zeigt, ist Tageslicht wesentlich effektiver als eine gewöhnliche künstliche Lichtquelle. Gleiches gilt für Ausdauersport im Freien, der für die Ausschüttung von stimmungsaufhellenden Endorphinen sorgt. Zurück zur Lichtquelle: Die wichtigste Therapieoption für Patienten mit einer Winterdepression ist die Lichttherapie. Hierbei werden Patienten über einen festgelegten Zeitraum zwischen 30 und 60 Minuten vor ein Gerät gesetzt, das starkes künstliches Tageslicht verströmt. Studien aus Skandinavien und Island konnten die Wirksamkeit von Blaulichtlampen mit hohen Beleuchtungsstärken (Lux) belegen. Wer gut durch Herbst und Winter kommen möchte, der sollte mehr Licht in seinen Alltag integrieren. Gleichfalls schaffen zusätzliche Decken- und Stehlampen eine angenehme Wohlfühlatmosphäre. Eine starke Psyche und gute Disziplin sowie ritualisierte Tagesabläufe helfen ebenfalls. Bei wem dennoch Symptome auf der seelischen und körperlichen Ebene auftreten und dauerhaft bleiben, der sollte sich nicht scheuen, den Hausarzt oder einen Psychologen aufzusuchen.

Nicht leiden, wo man nicht leiden muss

„Ich bin schon wieder nicht gut in den Tag gestartet.“ „Ich schaffe das einfach nicht mehr.“ „Ich kann mich kaum noch konzentrieren.“ „Ich bin mit meinem Leistungsvermögen absolut unzufrieden.“ Solche Sätze können erste Anzeichen für eine Winterdepression sein. Dinge, die normalerweise leicht von der Hand gehen, funktionieren auf einmal nicht mehr. Aus diesem Grund ist es elementar, die sich ankündigende saisonal abhängige Depression rechtzeitig zu behandeln, um im schlimmsten Fall einer langfristigen Depression mit Angstzuständen und Panikattacken vorzubeugen. Dr. Grampp erklärt: „Kopf und Körper sind anfänglich mit der Vielzahl an unbekannten Einflüssen überfordert, aber mit individuellen therapeutischen Maßnahmen bekommt man eine saisonal abhängige Depression gut in den Griff.“ Sofort erinnert er sich an einen seiner Patienten, der ihn aufsuchte – im Gepäck einen Notizzettel, auf dem alle Veränderungen im Alltag plus psychische und physische Symptome vermerkt waren. Bereits drei Wochen nach der Anamnese hatte er seine alte Lebensqualität wieder zurück. Der graue Herbst und der kalte Winter können ihm seither nichts mehr anhaben.

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