May hat einen langen Leidensweg hinter sich. Im Alter von vier Jahren wurde bei ihr ein Immundefekt-Syndrom diagnostiziert. Mit den Symptomen der Erkrankung kämpft die heute 12-Jährige schon seit ihrer Geburt. Doch sie und ihre Familie geben nicht auf. Nach einer Stammzelltransplantation 2020 gibt es wieder Hoffnung auf ein ganz normales Leben für das aufgeweckte Mädchen.
May wurde am 12. August 2010 geboren. Die Geburt verlief gut und eher unauffällig. Ihre Mutter erinnert sich: „Trotz ihrer 4.100 g Gewicht und 54 Zentimetern Körpergröße kam mir May eher schmal vor.“ Die Familie bringt ihr Baby nach Hause. Alles scheint gut. Doch schon nach ein paar Wochen merken die Eltern, dass May nicht richtig essen und trinken kann. Sie schreit ständig vor Schmerzen und ihre Stimme klingt kratzig und rau. Hier beginnt die Odyssee der kleinen May.
Die Verzweiflung, nicht zu wissen, was los ist
Im Oktober 2010 wird sie das erste Mal in Wurzen, später in Borna stationär aufgenommen. Mund und Rachen sind durch Pilze entzündet, genau wie ihr Windelbereich. Die Ärzte diagnostizieren eine mukokutane Candidiasis und lindern vorübergehend die Symptome. Doch die schweren Infektionen ihrer Lunge, des Darms und der Speisröhre ebben nicht ab und May wird wieder und wieder in der Kinderklinik des Klinikums St. Georg behandelt. Noch können die Ärzte nicht das ganze Krankheitsbild erkennen.
Test um Test eine große Belastung für die Familie
Als sich die Situation für May nicht verbessert, überweist sie ihr Kinderarzt im Frühjahr 2011 ins ImmundefektCentrum Leipzig (IDCL) am Klinikum St. Georg. Zu den behandelnden Ärzten gehört auch Dr. Maria Faßhauer, Oberärztin im Fachbereich Pädiatrische Rheumatologie und Immunologie. „Bei May traten im ersten Lebensjahr Pilzinfektionen im Windelbereich und im Mund auf. Das ist in dieser Entwicklungsphase gar nicht so selten. Die langanhaltenden Pilzinfektionen der Speiseröhre nach dem ersten Geburtstag jedoch schon. Dass sich diese trotz ausreichender Behandlung nicht besserten, sondern im Gegenteil, weitere Infektionen verschiedener Organe hinzukamen, hat uns stutzig gemacht.“ Dr. Faßhauer und ihr Team vermuten einen Immundefekt. Die Ergebnisse zeigen, dass Anzahl und Funktion der körpereigenen Immunzellen, die eigentlich für die Infektabwehr zuständig sind, bei May gestört sind. Sie bekommt eine dauerhafte Immunglobulin-Therapie. Dabei werden ihr schützende Antikörper gegen verschiedene Infektionserreger verabreicht. Diese werden aus dem Plasma tausender Spender gewonnen. Außerdem muss sie regelmäßig Antibiotika und einen Saft gegen Pilze nehmen. Die Eltern sind verzweifelt. Monique K. beschreibt den Zustand so: „Man funktioniert nur noch. Ich habe versucht, stark zu bleiben, um für May da sein zu können. Bei allen Entscheidungen habe ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen und dabei nie gezweifelt, dass es besser wird.“ Für die Untersuchungen und Behandlungen muss May immer wieder ins Krankenhaus, mal nur ein paar Tage und manchmal für Wochen. Eine Zeit, in der sie nicht wie andere Kinder zu Hause aufwachsen kann. Eine harte Belastung für die ganze Familie und vor allem für Monique K., die jedes Mal dabei ist. „Seit ihrer Geburt war May schon 35 Mal im Krankenhaus.“ Und dann kommen ihr die Tränen und sie ergänzt: „Einmal hat May zu mir gesagt: „Mama, was ist, wenn ich das alles nicht schaffe?“ Dieser Satz hat sich mir eingebrannt. Das ist für mich als Mutter nur sehr schwer zu ertragen.“
Diagnose STAT1-GOF
2014 diagnostizieren Dr. Faßhauer und das Team des IDCL, in Kooperation mit dem Karolinska-Institut Schweden, mit einer molekulargenetischen Untersuchung bei May den Immundefekt STAT1-GOF. „Der Immundefekt mit dieser genetischen Veränderung wurde erstmals 2011 bei Patienten mit chronischer mukokutaner Candidose (CMC) und Autoimmunität beschrieben. Das ist ein hochkomplexes, seltenes Krankheitsbild, das erst in den letzten Jahren genauer verstanden wurde.“ In Deutschland sind ungefähr 50 Patienten davon betroffen. Mutationen im Gen STAT1 sind für die Erkrankung verantwortlich. Diese führen dazu, dass das STAT1-Protein dauerhaft aktiv ist, ein wichtiges Protein, das in der Signalgebung von Immunzellen sowie in manchen anderen Körperzellen eine Rolle spielt. Diese Mutation führt zu verschiedenen Störungen des Immunsystems. Eine Stammzelltransplantation könnte die immunologischen Probleme heilen. Doch 2014 sind die Risiken der Therapie für May größer als ein möglicher Nutzen.
Auf Jahre der Ruhe folgt die Stammzelltransplantation
„Zwischen 2015 und 2019 hatten wir ein paar Jahre Ruhe“, erzählt Monique K. May verbrachte weniger Zeit im Krankenhaus und konnte 2017 sogar ganz normal eingeschult werden. Die heute 12-Jährige ist sehr kreativ, bastelt und spielt gern mit ihren älteren Schwestern Amy und Mya. Während dieser Ruhepause informiert sich ihre Mutter weiter über den neuesten Stand der Forschung. Bei einer Veranstaltung des IDCL und des dsai e.V., der Patientenorganisation für angeborene Immundefekte, lernt sie 2019 Dr. Jörn-Sven Kühl kennen, einen Experten für Stammzelltransplantationen, der in der Universitätskinderklinik Leipzig arbeitet. Als sich kurz darauf Mays Zustand schnell verschlechtert, entscheiden sich die Eltern für eine Stammzelltransplantation. Nach einer Chemotherapie transplantiert ihr Dr. Kühl Blut-Stammzellen einer Knochenmarkspende. Sechs Monate muss May insgesamt in der Abteilung für Pädiatrische Onkologie, Hämatologie und Hämostaseologie der Uniklinik Leipzig bleiben.
Eine Krankheit mit vielen Folgen
Das Immundefektsyndrom hat in den vielen Jahren Spuren bei May hinterlassen. Sie leidet unter einer chronischen Darmentzündung und Untergewicht, Hautausschlägen und Ekzemen, sowie Veränderungen an der Lunge. Nach der Stammzelltransplantation benötigt May eine spezielle hochkalorische Nahrung aus der Apotheke. Nichts, was sie isst, darf länger als 24 Stunden geöffnet sein. Beim Abendessen sind alle ihre Lebensmittel gesondert verpackt, um Pilzinfektionen zu vermeiden. Während dieser Zeit darf sie keine Nüsse, Pflanzen oder Tiere anfassen, da sich sonst ihre Haut entzünden kann. Jeder Lappen, jedes Handtuch, das sie benutzt, muss sofort gewaschen und desinfiziert werden und darf kein weiteres Mal verwendet werden.
Danke für ein Stück Freiheit
Heute, drei Jahre nach der Transplantation, geht es May deutlich besser. Auch wenn ihr Leben immer noch von Arzt- und Klinikbesuchen geprägt ist, hat sie doch ein Stück Freiheit zurückgewonnen. Im September 2021 konnte sie das erste Mal seit Jahren wieder gemeinsam mit der Familie zum Spencerhill Festival nach Templin fahren. Auf einem der Bilder sieht man, mit welcher Lust sie nach langer Zeit wieder in eine Erdbeere beißt. Monique K. und ihre Familie schöpfen neue Hoffnung und haben in all den Krisen gelernt, dass sie nicht allein sind. Auf ihre Freunde und die Familie konnten sie sich immer verlassen. Außerdem möchte sie sich ausdrücklich bei Dr. Faßhauer bedanken, sagt sie. „Sie war und ist für uns die wichtigste Bezugsperson im St. Georg. Ich kann sie immer anschreiben oder anrufen. Manchmal, in besonderen Situationen, saßen wir einfach nur zusammen auf Station und konnten miteinander reden. Ohne sie wären wir heute nicht da, wo wir sind.“