Abhängigkeitsverhältnisse zwischen zwei Personen gibt es in allen gesellschaftlichen Bereichen. Sie kommen beispielsweise in Arbeitsverhältnissen, in Paarbeziehungen aber auch in therapeutischen Kontexten vor. Ihnen zu Grunde liegt ein Machtgefälle, sprich die Überlegenheit eines Menschen über einen anderen.
Dr. Peter Grampp ist Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Fachkrankenhaus Hubertusburg in Wermsdorf. Er erklärt, warum es gerade in der Psychotherapie verheerende Folgen haben kann, wenn Therapeuten ihre Macht missbrauchen. „In den meisten Fällen kommen Patienten und Patientinnen mit Problemen und suchen nach Lösungen. In dieser ersten Phase sind sie sehr verletzlich. Sie brauchen Hilfe und verlassen sich auf die Integrität und die Professionalität ihrer Therapeuten.“ Diese werden dabei oft als weise und unantastbar wahrgenommen. „Dieses Machtgefälle ist sehr gefährlich“, unterstreicht Dr. Grampp und fügt hinzu, „Es ähnelt einer Eltern-Kind-Beziehung und öffnet Machtmissbrauch Tür und Tor.“ Aus seiner Sicht ist es deshalb für beide Seiten wichtig, einer Behandlung ein klares und richtungsweisendes Vorgespräch voranzustellen.
Patienten sollten mitentscheiden dürfen
Dr. Grampp ist ein Verfechter der partizipativen Entscheidungsfindung, einer Methode, die Patienten dazu ermächtigt, den Prozess ihrer Therapie aktiv mitzugestalten. Diese sollte seiner Meinung nach ein Muss sein. „Die Verantwortung selbst aktiv an der eigenen Heilung mitwirken zu müssen, schafft Selbstvertrauen“, führt Dr. Grampp aus. „So verhindern wir ein Machtgefälle und stärken nachweislich ihr Vertrauen in die Therapie.“ Eines der wichtigsten Werkzeuge der Psychotherapie, um Machtmissbrauch während einer psychotherapeutischen Behandlung zu verhindern, ist das so genannte Abstinenzgebot. Es besagt, dass Therapeuten während und auch nach der Behandlung keine sexuellen, persönlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen jeglicher Art zu ihren Patienten haben dürfen. Wird dieses Gebot gebrochen, kann das schwerwiegende Folgen für diese bedeuten.
Merkmale eines Machtmissbrauchs erkennen
Doch an welchen Merkmalen lässt sich Machtmissbrauch erkennen? Der Ethikverein, der sich für die Einhaltung von Ethikstandards in der Psychotherapie einsetzt, hat dafür ein Flaggensystem entwickelt. Die gelbe Flagge wird gezeigt, wenn der Therapeut oder die Therapeutin beispielsweise anfängt, Geschenke zu machen, Persönliches von sich erzählt, erotische Fantasien entwickelt oder eine Vorstellung der eigenen Unfehlbarkeit bekommt. Die rote Flagge dagegen markiert klare Grenzverletzungen. Dazu gehören verbale erotische Aussagen, sexuelle Kontakte, Gespräche über Patienten ohne Entbindung von der Schweigepflicht oder unangekündigte Umarmungen und Berührungen.
Die Landesärztekammer hilft Betroffenen
Dr. Grampp, der selbst als Gutachter für solche Fälle arbeitet, rät Betroffenen, sich in einem ersten Schritt an die Landesärztekammer zu wenden. „Die Kammer hat großes Interesse daran, solche Fälle lückenlos aufzuklären und die Situation im Sinne der Patienten zu klären.“ Darüber hinaus können Patienten jederzeit zivilrechtliche oder strafrechtliche Schritte einleiten, um beispielsweise ihre Schadenersatzforderungen, Schmerzensgeld oder eventuelle Folgekosten durchzusetzen.
Flache Hierarchien schützen vor Machtmissbrauch
„Der beste Schutz vor Machtmissbrauch sind flache Hierarchien“, ist Dr. Grampp überzeugt. Er rät Kliniken, auf jegliche Rangordnung unter den Angestellten zu verzichten. Eine weitere vorbeugende Maßnahme ist seiner Meinung nach der Erfahrungsaustausch. Therapeuten sollten sich deswegen regelmäßig mit Kollegen über Herausforderungen, Erkenntnisse und Gefühle innerhalb der Therapie austauschen. So erweitern sie ihr eigenes Verständnis und verbessern ihre therapeutischen Fähigkeiten.