Wenn sich die Freude nach der Geburt in Grenzen hält
Die Geburt bildet den krönenden Abschluss der neun Monate langen Wartezeit auf das eigene Kind. Halten die frischgebackenen Eltern ihr Neugeborenes im Arm, überwiegen Gefühle wie Glück und Liebe. Aber das ist nicht immer so. Nach der Geburt sind die Empfindungen der Mutter häufig gemischt. Zwischen dem dritten und dem zehnten Tag des Wochenbetts erleben viele Frauen ein Stimmungstief. Im Volksmund spricht man dann von „Babyblues“ oder „Heultage“. Hält das Stimmungstief hingegen über einen längeren Zeitraum an, bezeichnen Ärzte dies als Wochenbettdepression.
Die Geburt ist vorbei und das Neugeborene liegt in den Armen der Mutter. Noch einmal muss diese kurz pressen und die Nachgeburt, der Mutterkuchen, ist raus. „Was die wenigsten Frauen wissen, ist die Tatsache, dass sich das Fehlen des Mutterkuchens durch ein starkes Stimmungstief bemerkbar machen kann. Durch den Mutterkuchen wird nicht nur das Kind mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt, sondern dieses hormonbildende Organ ist während der Schwangerschaft auch dafür verantwortlich, jede Menge Schwangerschaftshormone zu produzieren“, erklärt Professor Dr. Uwe Köhler, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Klinikum St. Georg. Nach der Geburt sinkt der Hormonspiegel – vor allem das Östrogen und das Progesteron –, aber ein paar Tage nach der Geburt befinden sich noch Restmengen der Hormone im Blut der Mutter. „Dieser Hormonumschwung nach der Geburt wirkt sich bei der Mehrheit aller frisch entbundenen Mütter auf das Gemüt aus. Fast 80 Prozent aller Mütter sind davon betroffen. Am dritten Tag nach der Geburt sind die meisten äußerst labil“, weiß der Experte. Oft fühlen sich die Frauen niedergeschlagen, überfordert, müde, reizbar oder unruhig. Zusätzlich zu den Hormonschwankungen kommt die noch neue und ungewohnte Situation hinzu: Selbst wenn es sich bei dem Kind um ein Wunschkind handelt, wird der Mutter nach der ersten Euphorie bewusst, dass sich ihr Leben nun grundlegend ändert. Am besten helfen dann die liebevolle Zuwendung und das Verständnis des Partners sowie ganz viel Ruhe. Diese Heultage sind völlig normal und legen sich nach einigen Tagen wieder.
Wenn das psychische Tief jedoch länger anhält, brauchen die Wöchnerinnen dringend Hilfe. Bei etwa jeder fünften bis zehnten Frau verfestigt sich das Stimmungstief und die Freudlosigkeit sowie Erschöpfung halten an. Symptome einer Wochenbettdepression sind unter anderem heillose Überforderung, Gefühle von Traurigkeit, Empfindsamkeit, Reizbarkeit, Erschöpfung und Ruhelosigkeit. „Wenn sich dann auch noch keine Gefühle für das eigene Kind einstellen wollen, entstehen zusätzlich noch starke Schuldgefühle. Das alles können Anzeichen für eine Wochenbettdepression sein. Häufig ist das nach der Geburt des ersten Kindes der Fall. Eine Wochenbettdepression, auch postpartale Depression genannt, tritt in den ersten zwei Jahren nach der Geburt auf und kann leicht oder schwer verlaufen, aber sie erfordert in jedem Fall professionelle Hilfe“, erläutert Professor Dr. Uwe Köhler und fügt hinzu: „Diese Form der Depression ist gut behandelbar und verschwindet bei den meisten Frauen wieder vollständig. Ein Hauptproblem ist aber dennoch die Scham der Mutter. In der Gesellschaft ist es nach wie vor so, dass eine Mutter nach der Geburt automatisch glücklich zu sein hat.“ Betroffene Frauen sind daher auf Beistand durch Partner, Familie oder Freunde angewiesen.
Die Ursachen einer Wochenbettdepression sind vielfältig. Neben der hormonellen Umstellung spielen auch in der Vergangenheit liegende Schwangerschaftskomplikationen, traumatische Erlebnisse oder mangelnde Unterstützung durch den Partner eine große Rolle. Bei der Behandlung einer Wochenbettdepression werden meistens Medikamente mit psychotherapeutischer Hilfe kombiniert. In besonders schwerwiegenden Fällen ist ein stationärer Aufenthalt nötig. Der Chefarzt erklärt: „Auch nach einer Wochenbettdepression ist ein normales, glückliches Leben mit dem Kind möglich.“