Die Orthovolttherapie erlebt derzeit eine verdiente Renaissance — dank ambitionierter Mediziner wie Dr. André Liebmann. Der Chefarzt der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Klinikum St. Georg gilt unter anderem als Experte für die mehr als 100 Jahre alte Form der Entzündungs- bzw. Röntgenreizbestrahlung. Mit dieser besonderen Form der Strahlentherapie können Beschwerden durch chronische Reizzustände (z.B. Fersensporn, Epicondylitis) aber auch degenerativer Gelenkerkrankungen gelindert werden.
Anfänge der schmerzlindernden Strahlentherapie
Kurz nach der Entdeckung der Röntgenstrahlung 1895 durch Wilhelm Conrad Röntgen hatte unter anderen der deutsche Chirurg Georg Perthes die Idee, diese für strahlentherapeutische Zwecke einzusetzen. Der zwischen 1903 und 1910 an der Chirurgischen Poliklinik Leipzig tätige Arzt behandelte mit der ionisierenden Strahlung zunächst Karzinome, also bösartige Krebserkrankungen. Im Laufe seiner Tätigkeit stellte er aber auch einen therapeutischen Effekt bei Entzündungen fest. Anfang der 1920er Jahre etablierte sich so schon ein Therapieverfahren gegen schmerzhafte, degenerative Gelenkerkrankungen sowie Entzündungen. Salonfähig wurde diese dann vor allem durch Professor von Pannewitz in den 1930ern. Ihm zu Ehren wird durch die strahlentherapeutische Fachgesellschaft (DEGRO) jährlich der Günther-von-Pannewitz-Preis für Arbeiten zu nicht malignen Erkrankungen und ihren biologischen und physikalischen Grundlagen verliehen.
Wie funktioniert die Orthovolttherapie?
Kniegelenkarthrose, Fersensporn oder der allseits bekannte Tennis- oder Golfellenbogen — bei vielen dieser Leiden sind es Reizzustände, die die Schmerzen auslösen. Abhilfe verschaffen kann hier eine sogenannte Röntgenreizbestrahlung. Patienten werden dabei mit einem Orthovoltgerät oder einem Linearbeschleuniger behandelt. „Beim Orthovoltgerät wird der Tubus des Gerätes direkt auf die betroffene Körperstelle aufgesetzt. Die Bestrahlungsenergie ist hier geringer, da häufig eine geringere effektive Eindringtiefe ins Gewebe genügt“, erklärt Dr. Liebmann. Mit dem Orthovoltgerät werden Fersensporn, Epicondylitis („Golf- oder Tennisellenbogen“) oder auch Entzündungen in kleineren Gelenken (z.B. Finger) behandelt. Die Behandlung ist schmerzfrei und wird ambulant durchgeführt. „Unsere Patienten werden bestrahlt und können nach 15 bis 20 Minuten wieder nach Hause gehen“, sagt Dr. Liebmann.
Bestrahlung — Krebstherapie vs. Orthovolttherapie
Strahlentherapie kennen viele als Mittel gegen Krebs. Dort kommt häufig eine besonders hoch dosierte Bestrahlungstherapie zur Anwendung, welche — wie z.B. beim Prostatakarzinom — durchaus Werte von 74 bis 78 Gy erreicht. „Gray (Gy) bedeutet Joule pro Kilogramm, also Energie pro Masse und ist die Einheit, womit wir unsere Bestrahlungsdosis spezifizieren. Bei chronischen Entzündungen bestrahlen wir zwei- bis dreimal wöchentlich mit einer Dosis von 1,0 Gy bis insgesamt 6,0 Gy. Bei nicht bereits chronifizierten Beschwerden behandeln wir täglich mit einer Bestrahlungsdosis von sogar nur 0,5 Gy bis zu einer Gesamtdosis von 3,0 Gy“, erklärt Dr. Liebmann. Diese also im Vergleich geringe Strahlendosis habe laut Dr. Liebmann letztlich nur einen Zweck — den chronischen oder auch akuten Reizzustand zu durchbrechen. Das Ziel der Behandlung ist das Ende der Entzündung — zumindest für einen gewissen Zeitraum. Kehrt die Entzündung zurück, kann gegebenenfalls eine weitere Behandlung helfen.
Welche Entzündungen behandelt die Orthovolttherapie?
„Der schmerzhafte Fersensporn ist wohl die bekannteste Krankheit, die wir mit der Orthovolttherapie behandeln. In der Fachsprache bezeichnen wir das als Calcaneodynie, also schmerzhafte Ferse. Das ist ein kleiner Auswuchs an der Ferse, wo der Sehnenansatz chronisch überlastet ist“, beschreibt Dr. Liebmann. „Wollte man eine Liste der Entzündungen, für die eine Behandlung mit der Orthovolttherapie infrage kommt, aufstellen, so folgt dann die Epicondylitis humeri — also der Tennis- oder Golfellenbogen“, erklärt Dr. Liebmann. Die betroffenen Stellen sind die kleinen Höcker innen und außen am Ellenbogen. Das sind Sehnenansätze und sind diese überreizt, schmerzt es sehr. Diese Entzündung kommt häufig bei Menschen vor, die viel tragen müssen wie beispielsweise in der Gastronomie. Auch die Rhizarthrose, also ein schmerzhaftes Daumensattelgelenk, ist ein häufiges Beschwerdebild, bei dem das Orthovoltgerät zum Einsatz kommt. Ältere Menschen nutzen die Therapiemöglichkeit außerdem, um schmerzende Fingergelenke (Polyarthrose) behandeln zu lassen. „Selbstverständlich können wir mit der niedrig dosierten Röntgenreizbestrahlung auch Schmerzen in den Hüft- und den Kniegelenken lindern. Zur Bestrahlung von diesen großen Gelenken eignet sich jedoch der Linearbeschleuniger, also das Großgerät, besser. Kurzgefasst: Ich bevorzuge für kleine Gelenke und relativ oberflächliche Befunde die Orthovolttherapie und für große Gelenke den Linearbeschleuniger. Denken Sie aber bitte immer daran, dass eine Bestrahlungstherapie nur dann eingesetzt wird, wenn andere Therapiemaßnahmen versagten. Dies dient der Vermeidung unnötiger Strahlenbelastungen. Ebenso erbitten wir bei Vorstellung ein Röntgenbild, um andere Ursachen, z.B. eine Fraktur, auszuschließen“, so Dr. Liebmann. Erfolgsrate der Röntgenreizbestrahlung Eine große Studie aus dem sächsischen Raum, an der auch Dr. Liebmann mitgewirkt hat, untersuchte rund 1.000 Knie-Patienten. „Das Ergebnis ist bemerkenswert“, freut sich der Strahlen-Facharzt. Untersucht wurde, wie die Patienten auf insgesamt 1.659 Bestrahlungsserien angesprochen haben. Rund 80 Prozent der Befragten gaben eine leichte, deutliche oder komplette Schmerzreduktion an. „Diese Zahlen sprechen meiner Meinung nach wirklich sehr für diese Therapie“, sagt Dr. Liebmann abschließend.