Fatih Cicecüce stand mit beiden Beinen fest im Leben, bis ein Unfall eben dieses komplett auf den Kopf stellte. Er war 39, als ihm seine größte Leidenschaft zum Verhängnis wurde. Während einer Motorradfahrt mit einem Freund geriet der Berufskraftfahrer unverschuldet in einen Verkehrsunfall und stürzte schwer. Nach einer instabilen Beckenfraktur und einer Infektion mit einem multiresistenten Krankenhauskeim drohte ihm der Verlust seines rechten Beins – eine Hiobsbotschaft für den lebensfrohen Mann aus Osnabrück. Anlass für Mut und Hoffnung gab ihm erst die Zusammenarbeit mit dem Experten-Team des Traumazentrums am Klinikum St. Georg.
Das Bein muss abgenommen werden! Eine ganze Woche lang haben mich die Ärzte damit bombardiert, aber ich war dagegen. Ich wollte mein Bein einfach nicht kampflos aufgeben“, erinnert sich Cicecüce. Der Keim hatte sich bereits durch die Haut seiner rechten Körperhälfte gefressen und weite Teile seiner Knochenstruktur befallen. Nach neun Monaten Krankenhausaufenthalt in Osnabrück erklärten ihm die Ärzte, dass er nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen sei. Um die Kontamination des Blutkreislaufes zu verhindern, wurden der rechte Teil seines Beckenknochens und ein Teil seines rechten Oberschenkelknochens entfernt. Doch die Amputation des rechten Beins – für den Biker keine Option. „Ich war in einem so schlechten Zustand, dass ich sogar Selbstmordgedanken hatte“, erklärt der heute 43-Jährige. Glücklicherweise lernte er auf der Suche nach Hilfe Dr. Jörg Böhme kennen. Der Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Spezialisierte Septische Chirurgie am Klinikum St. Georg versicherte seinem Patienten, das Bein nicht abzunehmen und alles daran zu setzen, den Keim zu besiegen. „Dann fing die Erfolgsgeschichte an, dann ging‘s bergauf“, kommentiert Cicecüce die Begegnung mit dem Leipziger Mediziner. Zunächst nahmen Dr. Böhme und sein Team die Bekämpfung des Keims in Angriff. Dafür transplantierten sie dem Patienten Teile seiner eigenen Rücken- und Bauchmuskulatur, seines Beckens und des rechten Oberschenkelmuskels. „Dadurch kam die Infektion zur Ruhe“, resümiert der Chefarzt.
„Das Beste daran war, ich konnte mein Bein behalten“, freut sich Cicecüce. Doch er hatte eine viel größere Vision: „Ich wollte wieder laufen, um jeden Preis!“ Was im Vorfeld noch als undenkbar galt, sollte nun durch eine enge interdisziplinäre Kooperation mit der Klinik für Plastische und Handchirurgie langsam Form annehmen. „Auf Basis verschiedener Rekonstruktionstechniken und unserer gebündelten Expertise in den Bereichen Orthopädie sowie Unfall- und Mikrochirurgie haben wir gemeinsam die Idee eines biomechanischen Knochenmodells mit Bändern und Muskulatur entwickelt“, erläutert Professor Dr. Thomas Kremer, Chefarzt der Klinik für Plastische und Handchirurgie am Klinikum St. Georg. „Das Modell haben wir zunächst virtuell am Computer erstellt. Unter Einbeziehung eines der weltweit führenden 3D-Fertigungswerke konnten wir schließlich ein passgenaues medizinisches 3D-Implantat herstellen“, ergänzt Dr. Böhme. Um einen geeigneten Prototyp zu entwickeln, wurde die noch intakte linke Seite des Beckens virtuell gespiegelt und mithilfe hochmoderner Software exakt die rechte Seite berechnet. „Nachdem wir das individuell angepasste Implantat erfolgreich einsetzen konnten, haben wir noch im OP-Saal eine Computertomographie durchgeführt, um zu prüfen, ob sie wirklich gut sitzt. Und ich muss sagen, sie passt wie die Faust aufs Auge“, kommentiert Dr. Böhme. Um mit seinem Bein auch wieder laufen zu können, erhielt Cicecüce einen Stützapparat, der eine permanente Sicherung der Stand- und Gehphasen gewährleistet. Die speziell und passgenau angefertigte Orthese aus Vollcarbon kann Fatih Cicecüce über eine App auf seinem Tablet steuern und so wieder „Schritt für Schritt“ laufen lernen. Durch den unbändigen Willen des Patienten und der hervorragenden interdisziplinären Zusammenarbeit am Traumazentrum des Klinikums St. Georg wurde das vermeintlich Unmögliche möglich gemacht: Nach einer ausgedehnten Reha- und Trainingsphase hat der leidenschaftliche Biker die Möglichkeit, eines Tages wieder Motorrad zu fahren. Im kommenden Sommer will er mit Dr. Böhme zusammen aufs motorisierte Zweirad steigen. „Davon habe ich so lange geträumt. Ich bin so dankbar, am Klinikum St. Georg die richtigen Menschen getroffen zu haben. Ich fahre in diesem Jahr mit meinem Motorrad auf die Isle of Man. Den Doktor nehme ich mit. Das ist fest ausgemacht.“