„Wir sind auch für Familien mit erblichem Darmkrebs da.“
Prof. Dr. Ingolf Schiefke und PD Dr. Boris Jansen-Winkeln leiten gemeinsam das Viszeralonkologische Zentrum am Klinikum St. Georg. Ersterer ist Gastroenterologe und Endoskopiker, in dessen Verantwortungsbereich die Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen im Verdauungstrakt liegt. Zweiterer ist Chirurg und kümmert sich um die Entfernung der Tumoren. Zusammen mit ihrem Team im Viszeralonkologischen Zentrum behandeln sie jährlich mehr als 250 Primärfälle, also Patienten, die erstmals an Krebs erkranken.
Viszeral steht für „die Eingeweide betreffend“ und zielt auf alle Organe des Verdauungstraktes von der Speiseröhre über den Magen, die Galle, die Bauchspeicheldrüse, die Leber bis zum Darm. „Alle Tumorerkrankungen dieser Organe behandeln wir im Klinikum St. Georg im Viszeralonkologischen Zentrum“, erklärt Prof. Dr. Ingolf Schiefke, Chefarzt für Gastroenterologie und Leiter des Viszeralonkologischen Zentrums am Klinikum St. Georg. Zertifizierte Krebszentren sind dabei das Pankreaszentrum – also das Zentrum für Bauchspeicheldrüsenkrebs – und das Darmkrebszentrum. Mit zwei derartigen Zertifizierungen darf sich die Klinik seit 2019 Viszeralonkologisches Zentrum nennen. In Leipzig gibt es fünf Darmkrebszentren, von denen das im Klinikum St. Georg die meisten Patienten behandelt. Die Ärzte hier können daher auf einen überdurchschnittlich großen Erfahrungsschatz zurückgreifen.
Schwerpunkt Darmkrebs: Vorsorge ist das A und O
Nach Prostatakrebs bei den Männern und Brustkrebs bei den Frauen ist Darmkrebs die dritthäufigste Krebserkrankung in Deutschland. „Bei den Tumorerkrankungen des Darms unterscheiden wir zwischen erblichem und zufällig auftretendem Darmkrebs“, erläutert Prof. Schiefke. „Beim erblichem Darmkrebs weisen die Patienten häufig eine bestimmte Mutation auf, weshalb sie relativ frühzeitig – oft im Alter zwischen 18 und 30 Jahren – an Darmkrebs erkranken.“ Auch wer familiär vorbelastet ist, sollte sich beraten lassen und eventuell rechtzeitig zur Darmspiegelung als Vorsorgeuntersuchung gehen. Das gilt auch für Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Bei allen anderen Darmkrebspatienten tritt die Erkrankung typischerweise viel später auf.
In Deutschland gibt es seit über 20 Jahren die Vorsorgekoloskopie“, sagt Prof. Schiefke. „Das ist nur in wenigen Ländern der Erde so klar geregelt.“ Um diesen Krebs so früh wie möglich zu entdecken, wird die Darmspiegelung als Vorsorgeuntersuchung für Männer ab 50 Jahren und für Frauen ab 55 Jahren empfohlen und von den Krankenkassen auch gezahlt. Wer sich gegen eine Darmspiegelung entscheidet, dem erstatten die Krankenkassen ab 50 Jahren jährlich und ab 55 alle zwei Jahre einen Stuhltest. Je früher die Behandlung startet, umso besser sieht die Heilungsprognose aus. Wie bei vielen Krebsarten, ist das Tückische auch am Darmkrebs, dass er im Anfangsstadium keine Beschwerden verursacht. Tauchen Symptome wie Veränderungen des Stuhlgangs, Bauchschmerzen, Gewichtsverlust und Abgeschlagenheit auf, geht es nicht mehr um Vorsorge, sondern um Abklärung.
Operative Entfernung des Tumors: Plan A für die Heilung
„Für die meisten Patienten ist eine Operation die einzige Möglichkeit einer Genesung“, sagt PD Dr. Boris Jansen-Winkeln, Chefarzt für Allgemein-, Viszeral- und Onkologische Chirurgie und Leiter des Viszeralonkologischen Zentrums am Klinikum St. Georg. Die Optionen für Operationen unterscheiden sich je nach Organ und Krebserkrankung. Beim Bauchspeicheldrüsenkrebs beispielsweise ist es entscheidend, ob der Tumor im rechten oder im linken Bereich des Organs sitzt. „Auf der linken Seite können wir laparoskopisch, das heißt minimalinvasiv ohne großen Bauchschnitt operieren. Auf der anderen Seite können wir so nicht vorgehen,“ erläutert PD Dr. Jansen-Winkeln. Ist der Tumor rechts in der Bauchspeicheldrüse, wird es sehr viel komplizierter. „Das ist dann eine der kompliziertesten Operationen in der Chirurgie, verbunden mit einem großen Bauchschnitt und dem Verbinden von vielen Gefäßen“, sagt PD Dr. Jansen-Winkeln. An einer solchen drei bis sechs Stunden dauernden Operation sind viele Spezialisten beteiligt. 2023 wurden hier 26 dieser Operationen erfolgreich durchgeführt. Im laufenden Jahr 2024 ist die Tendenz steigend, wahrscheinlich um die 40 Fälle. Zu rund 90 Prozent entfernt PD Dr. Jansen-Winkeln Tumore minimalinvasiv. Nur die Hälfte der Kliniken in Deutschland bieten diese Methode zum Beispiel bei Darmkrebs an. Im Klinikum St. Georg dagegen werden bis zu 90 Prozent der Darmkrebs-OP’s minimalinvasiv durchgeführt.
Modernes Bildgebungsverfahren: Hyperspektral-Imaging
Wird ein Stück Darm entfernt, müssen die Enden wieder miteinander verbunden werden. Der Spezialist spricht dann von Anastomose. Ob diese neue geschaffene Verbindung gut heilt, hängt in hohem Maß von der Kunst des Chirurgen ab. Es gibt Hilfsmittel wie Kameras, die während der Operation die Durchblutung messen und den Ärzten zeigen, welche Bereiche gut heilen können. PD Dr. Jansen-Winkeln hat über eine solche Kamera habilitiert, das System getestet und mit weiterentwickelt. Genau dieses Gerät nutzt er heute bei seinen Operationen. Dieses Bildgebungsverfahren nennt sich Hyperspektral-Imaging. Alternativ wird in Verbindung mit einem ICG-Kontrastmittel die Durchblutung kontrolliert.
Besondere Expertise: Komplizierte OP’s in Rezidivfällen
„Unsere Ärzte verfügen über eine wirklich große Expertise im Rezidivfall, also bei erneut auftretenden Krebstumoren, insbesondere im kleinen Becken bei Mastdarmkrebs“, sagt PD Dr. Jansen-Winkeln. Das sind oft sehr große bis zu zehn Stunden andauernde Operationen, bei denen manchmal Blase, Prostata oder Vagina, ein Teil vom Sakrumknochen und meist auch ein großer Anteil vom Darm entfernt werden. Dabei entstehen zwangsläufig große Löcher im Körper, die es wieder zu schließen gilt. Diese Operationen sind für Dr. Jansen-Winkeln trotz seiner langjährigen Erfahrung immer wieder herausfordernd. „Egal wie gut man sich vorbereitet, man kann nie genau wissen, was einen erwartet und muss gegebenenfalls während der OP die Strategie ändern“, so der Chirurg. „Dabei haben wir den Vorteil, hervorragende plastische Chirurgen am Klinikum zu haben, die uns dabei helfen, solch große Defekte wieder zu verschließen.“ Nur wenn diese Infrastruktur und die entsprechenden Experten vor Ort sind, kann man solche komplexen Operationen anbieten.
In Zukunft: Unterstützung vom Roboter
Ein schlechter Chirurg sei mit Roboter nicht besser und ein guter Chirurg erziele auch ohne Roboter ausgezeichnete Ergebnisse, meint PD Dr. Jansen-Winkeln. Der Nutzen eines Roboters für den Patienten ist zumindest in der Viszeralchirurgie momentan kaum messbar. Der Chirurg profitiert von besserer Sicht und flexibleren Instrumenten. Das erkauft man sich aber durch deutlich höhere Kosten und längere OP-Zeit bei Eingriffen im Bauchraum. „Ich kann mit dem Roboter alles operieren. Aber ob es sinnvoll ist, ist ja die zentrale Frage. Fachlich und hinsichtlich der onkologischen Expertise machen wir aber momentan – ohne Roboter – keinerlei Abstriche“, sagt PD Dr. Jansen-Winkeln. Aber um state-of-the-art operieren zu können, wird auch das Klinikum St. Georg in naher Zukunft auf die Möglichkeiten eines OP-Roboters zurückgreifen können.