Wenn es schnell gehen muss
Im überregionalen Traumazentrum des Klinikums St. Georg werden Patienten aus dem Großraum Leipzig, Nordsachsen und zum Teil aus ganz Sachsen behandelt. Ein hochspezialisiertes interdisziplinäres medizinisches Team versorgt und behandelt hier Menschen mit schweren und schwersten Verletzungen.
Wenn ein Patient in das Traumazentrum eingeliefert wird, muss es schnell gehen. Denn meist sind es Schwerverletzte, die von Chefarzt PD Dr. med. Jörg Böhme und seinen Kollegen behandelt werden. In der Fachsprache der Mediziner heißt das: polytraumatisierte Patienten. Dazu gehört so ziemlich jede schwere Verletzung, die sich Menschen bei einem Unfall zuziehen können. Dementsprechend breit ist das Team um Dr. Böhme aufgestellt. „Bei uns arbeiten über 50 Ärzte aus ganz verschiedenen Bereichen der Chirurgie und Orthopädie zusammen, damit es im Ernstfall zu keinen Versorgungslücken kommt und wir alle Verletzungen vollumfänglich versorgen können“, erklärt Jörg Böhme.
„Als Polytrauma bezeichnet man multiple Verletzungen an verschiedenen Körperregionen, die gleichzeitig entstanden sind – meist durch einen Unfall mit dem Auto, Motorrad oder Fahrrad oder durch einen Sturz aus großer Höhe. Eine oder das Zusammenspiel aller Verletzungen stellen einen lebensbedrohlichen Zustand dar.“ CA Dr. Böhme
Wie diese Zusammenarbeit in der Praxis aussieht, zeigt sich im Schockraum. Hier kommen schwer verletzte Personen an, nachdem der Notarzt dem zuständigen Traumaleader ausführlich die Art und Schwere der Verletzungen der zu behandelnden Person geschildert hat. Der Traumaleader ist ein Oberarzt der Unfallchirurgie und koordiniert alle Abläufe im modernen Schockraum. Er trägt eine Warnweste, die durch die farbliche Kennzeichnung und die Beschriftung („Traumaleader“ bzw. „Schockraumleader“) dem beteiligten Team die Leitungsfunktion anzeigt. Anhand dieser ersten Informationen legt er fest, welche Spezialisten aus welchen Fachgebieten sich im Schockraum treffen werden. Hat die zu behandelnde Person etwa eine schwere Kopfverletzung, wird immer ein Neurochirurg hinzugezogen. Gibt es zudem offene Wunden, kommt ein Arzt aus der Klinik für Plastische und Handchirurgie hinzu. Ein Anästhesist gehört grundsätzlich zum Team des Schockraums, ebenso wie Krankenpfleger. Der Schockraum, auch Reanimationsraum genannt, befindet sich innerhalb der Notaufnahme und ist eine Art großer Operationssaal. Hier wird die zu behandelnde Person schnellstmöglich gründlich untersucht, der Schweregrad ihrer Verletzungen bestimmt.
Im Schockraum fällt die Entscheidung – Grün, Gelb oder Rot?
„Wir unterscheiden drei Schweregrade“, so Dr. Böhme. „Grün, Gelb und Rot. Bei Grün ist die zu behandelnde Person stabil und blutet nicht, könnte aber trotzdem schwer verletzt sein, weil sie aus über drei Metern Höhe gestürzt ist oder einen Verkehrsunfall mit über 30 km/h hatte.“ Bei Gelb dagegen spricht man von potenziell lebensbedrohlichen Verletzungen. Typisch dafür ist ein Fahrradfahrer, der auf den Lenker gestürzt ist, Schmerzen im Bauchraum hat und ein Bauchtrauma mit lebensgefährlicher Milzruptur erlitten haben könnte. Bei Rot dagegen handelt es sich in der Regel um Schwerstverletzte, die künstlich beatmet werden müssen und zum Beispiel schwere Verbrennungen und andere äußere und innere Verletzungen haben. Um festzustellen, wie schwer die Patienten wirklich verletzt sind, werden sie in kürzester Zeit komplett untersucht, nachdem sie stabilisiert und mit Flüssigkeit versorgt wurden. „Wie schwer ist der Kopf verletzt, gibt es Frakturen, sind die Wirbelkörper verletzt? All diese Fragen müssen wir in kürzester Zeit klären und dürfen dabei keine Verletzung übersehen“, fasst Dr. Böhme zusammen. Um sich ein möglichst genaues Bild von den Verletzungen der Patienten zu machen, kann das Team des Traumazentrums direkt neben dem Schockraum eine Computertomografie durchführen. Diese gibt genauen Aufschluss über den Zustand der verletzten Person.
Patienten aus ganz Sachsen
Wenn die nötigen Informationen schließlich zur Verfügung stehen, legen die Spezialisten den weiteren Behandlungsablauf fest. Was muss sofort operiert werden? Welche Operation kann oder muss noch warten? Schrittweise erfolgen in den nächsten Tagen dann die notwendigen Eingriffe. Nachdem der Patient im Schockraum erstversorgt wurde, wird er meist auf die Intensivstation verlegt. Ein interdisziplinäres Board mit verschiedenen Spezialisten entscheidet im weiteren Verlauf, welche Fachabteilung ihn im Anschluss stationär behandelt. Bei Verbrennungen ist das in Sachsen einzigartige Schwerbrandverletztenzentrum zuständig, wo Patienten aus dem ganzen Freistaat und dem südlichen Sachsen-Anhalt behandelt werden. Bei Schädel-Hirn-Traumata werden Patienten von der Neurochirurgie weiterbehandelt, bei schweren Verletzungen der Extremitäten von der Unfall- und der Plastischen Chirurgie. Bei gravierenden Knochen- und Weichteilinfektionen wird die zu behandelnde Person an die Spezialisierte Septische Chirurgie überwiesen, die es sachsenweit in dieser Form nur im Klinikum St. Georg gibt.
Wie das Traumazentrum den Ernstfall probt
Explosion im BMW-Werk Leipzig! Eine Gasexplosion hat eine Fertigungshalle erschüttert. Die Anzahl der Verletzten ist zunächst unbekannt, es ist von mehreren zum Teil schwerstverletzten Personen mit unterschiedlichsten Verletzungen auszugehen. Dieses Szenario war Gegenstand der letzten großen übergreifenden MANV-Übung (Massenanfall von verletzten Personen) des Klinikums St. Georg, gemeinsam mit dem Landratsamt Nordsachsen, dem Krankenhaus Delitzsch, dem Helios Klinikum Schkeuditz und dem BMW-Group Werk Leipzig. „Von einer Übung in dieser Größenordnung profitieren alle Beteiligten“, sagt Fanny Grundmann. Die Oberärztin der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Spezialisierte Septische Chirurgie im Klinikum St. Georg ist als Projektleiterin für den gesamten Einsatz verantwortlich. „Man trainiert fachübergreifendes Denken und vor allem die Kommunikation der unterschiedlichen Einsatzkräfte, wie Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei untereinander, die sonst meist einzeln üben.“
So lief der MANV ab
Simuliert wurde ein MANV, bei dem eine große Anzahl an Verletzten zunächst aus einer Produktionshalle bei BMW geborgen werden musste. Neben der Werksfeuerwehr kamen die Freiwillige Feuerwehr und weitere Rettungskräfte zum Einsatz. Anschließend erfolgte der Transport in die Krankenhäuser und dort die entsprechende medizinische Versorgung. Zum ersten Mal fand die Übung auch außerhalb des Klinikums und mit externen Partnern statt. Das BMW-Werk Leipzig hatte sich bereit erklärt, Unfallort zu sein. „Zu den besonderen Herausforderungen eines MANV gehört grundsätzlich die strukturierte Erfassung der Lage“, sagt Fanny Grundmann. „Durch die meist sehr gute Lageerfassung der Feuerwehr vor Ort finden die Rettungskräfte am Einsatzort geordnete Abläufe vor. Die Verletzten können so in relativ kurzer Zeit gesichtet, registriert und ausreichend behandelt in die umliegenden Krankenhäuser transportiert werden“, so Fanny Grundmann weiter.
Gegen 8:30 Uhr meldete die Leitstelle der Branddirektion den Übungsfall mit insgesamt drei Schwerstverletzten, 15 Schwerverletzten und acht Leichtverletzten. Schülerinnen und Schüler der Medizinischen Berufsfachschule spielten die Verletzten. Um die Verletzungen so realistisch wie möglich erscheinen zu lassen, wurden die Wunden passend zum jeweiligen Krankheitsbild geschminkt. Das Klinikum St. Georg erhielt zwei Schwerstverletze, sieben Schwerverletze und vier Leichtverletzte. Die anderen Verletzten wurden in die anderen teilnehmenden Krankenhäuser gefahren. Geübt wurden koordinative, medizinische und kommunikative Abläufe, um im Ernstfall gerüstet zu sein. Dreh- und Angelpunkt der Übung innerhalb des Klinikums St. Georg war die Zentrale Interdisziplinäre Notaufnahme/ Liegendanfahrt von Haus 20. Von hier aus wurden alle nötigen Maßnahmen in die Wege geleitet.
Dokumentationen an den einzelnen Punkten wie Triage, Schockraum, Aufnahme und selbst OP sollen im Anschluss helfen, die Übung auszuwerten, zu reflektieren und einzelne Abläufe weiter zu optimieren. Chefarzt PD Dr. Jörg Böhme, Leiter des Traumazentrums am Klinikum zieht ein positives Resümee: „Die Übung zur Kooperation und optimierten Zusammenarbeit der gesamten Einsatzkräfte vor Ort verlief ohne nennenswerte Probleme und war im Rahmen der Rezertifizierung der Traumazentren jeden Levels im Traumanetzwerk Westsachsen Teil eines überregionalen Übungskonzeptes. Gleichzeitig war es eine Abschlussübung zur Weiterbildung der Feuerwehr- und Einsatzkräfte des BMW-Group Werkes Leipzig im Kontext des betriebseigenen Notfallplanes und die Überprüfung der Einsatzbereitschaft von Kräften der Schnell-Einsatz-Gruppen des Landkreises Nordsachsen bei bereichsübergreifender MANV-Lage. Alle Beteiligten haben sehr gut zusammengearbeitet. Die Versorgung der Verletzten in unserer Notaufnahme verlief reibungslos und routiniert.“
„Ich bin stolz auf das ganze Trauma- und Notfallteam. Die Schnell-Einsatz-Gruppen des Landkreises Nordsachsen bestehen aus ehrenamtlichen Einsatzkräften, die u. a. in den Komponenten Patientenversorgung und -betreuung, Transport sowie Einsatzleitung tätig werden. Bei der Übung kamen sie im Rahmen der Amtshilfe mit ihren Einsatzleitwagen und den Rettungs- und Krankentransportwagen zum Einsatz, um die hohe Anzahl an Verletzten zeitnah in umliegende Kliniken zu verbringen. Nach Beendigung der Übung am Mittag kehrten unsere freiwilligen Einsatzkräfte an ihren eigentlichen Arbeitsplatz zurück“, sagt Dr. Claudia Pott, Ärztliche Leiterin Rettungsdienst im Landratsamt Nordsachsen. „Wir sind stolz, dass alle drei Schnell-Einsatz-Gruppen vollständig an dieser Übung teilgenommen haben. Der Landkreis Nordsachsen bedankt sich für das Engagement und die hohe Einsatzbereitschaft. Es ist gut zu wissen, dass der Landkreis für den „Ernstfall“ gerüstet ist.“ Katastrophen passieren unerwartet, umso wichtiger ist es, dass wir den Ernstfall trainieren. Verkehrsunfälle, Terrorwarnungen und auch Umweltkatastrophen ereignen sich immer häufiger, sodass unser Klinikum als Schwerpunktversorger auch solche Szenarien üben muss. Trotz des sehr guten Verlaufes der MANV-Übung wünschen sich alle Beteiligten, dass solche Szenarien nie oder möglichst selten eintreten.