Im ersten Weaning-Zentrum Sachsens hilft ein multidisziplinäres Expertenteam Patienten dabei, sich vollständig von der künstlichen Beatmung zu entwöhnen.
Wie alle Muskeln wird auch die Atemmuskulatur schwächer, wenn sie ungenutzt bleibt. Dieser Effekt stellt sich nach einer längeren Phase künstlicher Beatmung durch eine Beatmungsmaschine zwangsläufig ein. Die Gründe, warum die sogenannte Spontanatmung unzureichend oder gar nicht mehr stattfindet, sind sehr vielfältig. Unterschieden wird dabei zwischen respiratorischem Versagen des Typs I mit schwerem Sauerstoffmangel, wie zum Beispiel bei Pneumonien, Lungenembolien, Lungenfibrose, Atelektase, Pneumothorax und Lungenödemen. Zum Typ II, mit der verschlechterten Möglichkeit Kohlendioxid abzuatmen, zählen etwa Atemwegsobstruktionen wie COPD, thorakal-restriktive
Erkrankungen wie Kyphoskoliose, neuromuskuläre Erkrankungen wie ALS und Muskeldystrophie sowie Atemantriebsstörungen, z. B. nach einem Schlaganfall. Hinzu kommt aktuell eine größere Anzahl schwerer Covid-19-Infektionen bzw. deren Nachwirkungen. Was die verschiedenen Patienten vereint, sind die Folgen. „Diese sind oftmals äußerst problematisch“, erklärt der kommissarische Chefarzt Stephan Nagel. „Denn der Betroffene hat ab einem gewissen Zeitpunkt das Gefühl, dass selbstständiges Atmen nicht mehr möglich ist.“ Dies führt häufig zu akuten Erstickungsängsten sowie Panik und erschwert die Versuche, wieder ohne künstliche Beatmung zurechtzukommen. An diesem Punkt setzt Weaning an, zu Deutsch: Entwöhnung. Das ist der medizinische Begriff für ein spezielles Programm, bei dem die Patienten Schritt für Schritt daran gewöhnt werden, wieder selbstständig zu atmen.
Das Weaning-Zentrum im Klinikum St. Georg
Als erstes zertifiziertes Weaning-Zentrum in Sachsen bietet die Klinik für Pneumologie und Intensivmedizin ihren Patienten eine strukturierte und vollständige Entwöhnung von der künstlichen Beatmung an. Allein im Weaning-Zentrum in Leipzig wurden in den vergangenen vier Jahren mehr als 220 Patienten vom Beatmungsgerät entwöhnt. Oft muss neben dem Atmen auch das Sprechen, Schlucken und Gehen neu erlernt werden. Hierfür stehen drei moderne Intensivbetten, vier Intermediate-Care-Betten, ein Schlaflabor mit acht Betten und natürlich ein hochqualifiziertes medizinisches Team zur Verfügung. Am Klinikstandort sind zudem sämtliche internistische Disziplinen vertreten, die eng in die Behandlung der Patienten im Weaning-Prozess eingebunden werden können. Um dabei den größtmöglichen Erfolg zu erzielen, arbeitet ein speziell ausgebildetes Expertenteam aus Fachärzten, Pflegekräften, Physiotherapeuten, Atmungstherapeuten, Logopäden und Psychologen mit viel Geduld und pneumologischem Know-how eng zusammen. Dabei wird in allen Phasen der Entwöhnung von der maschinellen Beatmung ein standardisiertes und qualitätsgesichertes integriertes Behandlungskonzept verfolgt. Zu diesem Konzept gehört auch die Diagnostik, Indikation und die Verlaufskontrolle der Beatmungstherapie. Auch wenn die Behandlung auf der Intensivstation erfolgt, bemüht sich das medizinische Personal, den Patienten Individualität, Schutz der Privatsphäre, Lärmschutz sowie einen regelmäßigen Tag-Nacht-Rhythmus zu ermöglichen und den Aufenthalt damit so angenehm wie möglich zu gestalten.
Wie verläuft das Weaning?
Das Weaning findet auf der Intensivstation und der Station für außerklinische Beatmung der Klinik für Pneumologie und Intensivmedizin statt und wird kontinuierlich von den Atmungstherapeuten des Weaning-Zentrums im Klinikum St. Georg begleitet. Diese sind darauf spezialisiert, Patienten mit Atemschwierigkeiten zu behandeln. Zudem stellen sie das Bindeglied zwischen Patienten und Lungenspezialisten, Physiotherapeuten und Pflegekräften dar. Während sie mit den Betroffenen strukturierte Atem- und Bewegungsübungen durchführen, überwachen sie kontinuierlich deren Atmung, Herzfrequenz, den Sauerstoffgehalt im Blut und andere Vitalfunktionen. Üblicherweise wird während dieses Prozesses eine besondere Beatmungsform am Beatmungsgerät eingestellt, die nach und nach die Unterstützung reduziert, während die Atemkraft des Patienten Zug um Zug zurückkehrt. Je nach Fall kann es mehrere Wochen dauern, bis die selbstständige Atemarbeit wieder vollständig hergestellt ist. Ist eine solche Wiederherstellung nicht möglich, zielt die Behandlung darauf ab, die Unterstützung durch eine Maschine auf ein Minimum zu reduzieren, oder die Patienten zu Hause zusätzlich mit einer Maskentherapie zu behandeln. „Oberstes Ziel“, erläutert der komm. Chefarzt Nagel, „ist dabei immer, den Patienten zur größtmöglichen Unabhängigkeit zu verhelfen.“