Wie moderne Chirurgie Gliedmaßen rettet

August 07, 2025
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Erhalten, was möglich ist

Prof. Dr. med. Thomas Kremer, Chefarzt der Klinik für Plastische und Handchirurgie

Prof. Dr. med. Thomas Kremer © Klinikum St. Georg

Dank moderner Rekonstruktionsverfahren und der engen Zusammenarbeit mehrerer Fachabteilungen gelingt es dem Traumazentrum am Klinikum St. Georg immer wieder, schwer verletzte Arme und Beine zu erhalten – selbst in komplizierten Fällen. Im Traumazentrum arbeiten unter anderem die Abteilung für Gefäß- und Endovaskuläre Chirurgie, die Klinik für Neurochirurgie, die Klinik für Plastische und Handchirurgie, die Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie die Zentrale Notaufnahme eng zusammen. Prof. Dr. Thomas Kremer, Chefarzt der Klinik für Plastische und Handchirurgie, erklärt, wie das funktioniert – und warum es dabei um mehr geht als nur um medizinische Technik.

Herr Prof. Dr. Kremer, Sie sprechen von Verletzungen, die keine Klinik allein behandeln kann. Was meinen Sie damit konkret?

Im Traumazentrum des Klinikums St. Georg versorgen wir häufig Menschen mit schweren Verletzungen – zum Beispiel offene Knochenbrüche, bei denen gleichzeitig Gefäße geschädigt oder Weichteile zerstört wurden. Das sind keine einfachen Fälle. Oft ist nicht nur ein Knochen gebrochen, sondern es fehlen Haut, Muskeln oder die Durchblutung ist gestört. Früher wurde in solchen Fällen – besonders bei älteren Patienten – häufiger amputiert. Heute weiß man, dass der Erhalt der Extremität in vielen Fällen nicht nur die Lebensqualität deutlich verbessern kann, sondern auch das Langzeitüberleben erhöht. Deshalb setzen wir alles daran, eine Amputation möglichst zu vermeiden, wenn es medizinisch vertretbar ist.

Wie gelingt es Ihnen, solche Extremitäten zu retten?

Entscheidend ist die enge Zusammenarbeit mehrerer Fachabteilungen. Bei uns arbeiten Unfallchirurgie, Gefäßchirurgie, Neurochirurgie, Infektiologie, Plastische Chirurgie und die Zentrale Notaufnahme Hand in Hand. Wöchentlich tagt bei uns ein sogenanntes Extremitäten-Board – da besprechen wir im interdisziplinären Team gemeinsam die besten Behandlungswege für unsere Patienten. Es geht darum, individuelle Lösungen zu finden. Und das funktioniert – auch bei sehr komplexen Befunden.

Was bedeutet das konkret in der Praxis?

Ein Beispiel: Eine 83-jährige Patientin kam mit einem offenen Schienbeinbruch zu uns, bei dem zusätzlich eine Knocheninfektion und eine schlechte Durchblutung vorlagen. Die Patientin war bereits in einer anderen Klinik behandelt worden, aber ohne Erfolg. Bei uns wurde sie durch ein interdisziplinäres Team versorgt. Es erfolgte eine Durchblutungsverbesserung, eine individualisierte Antibiotikatherapie sowie eine Knochentransplantation in Kombination mit einer Gewebeverpflanzung. Innerhalb weniger Wochen heilte die Wunde ab. Heute, anderthalb Jahre später, ist sie wieder mobil und reist.

Sie haben die Gewebeverpflanzung angesprochen. Was genau passiert dabei?

Das ist eine sogenannte Lappenplastik, ein zentrales Verfahren der plastischen Chirurgie. Wir entnehmen dabei Gewebe – zum Beispiel vom Oberschenkel oder Rücken mitsamt den zugehörigen Blutgefäßen und transplantieren es an die verletzte Stelle. Dort schließen wir die Gefäße mikro-chirurgisch wieder an, sodass das Gewebe wieder durchblutet wird. Auf diese Weise können selbst große Wunden sicher und dauerhaft verschlossen werden.

Und wenn auch die Blutversorgung am Zielort beschädigt ist?

Dann kommen unsere Kollegen der Gefäßchirurgie ins Spiel. Sie legen einen sogenannten Bypass, der die Extremität mit Blut versorgt. Das ist komplex – aber gemeinsam gelingt es uns in vielen Fällen, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rekonstruktion zu schaffen. So geben wir dem Körper eine echte Chance auf Heilung.

Gibt es auch Möglichkeiten, Knochensubstanz wiederherzustellen?

Ja, wir führen auch vaskularisierte Knochentransplantationen durch. Dabei wird zum Beispiel ein Stück Wadenbein samt Blutgefäßen an eine andere Stelle im Körper transplantiert. In besonders schwierigen Fällen kombinieren wir das mit Spenderknochen, um zusätzliche Stabilität zu gewährleisten. Auch hier ist die mikrochirurgische Technik entscheidend.

Wie wichtig ist die Nachsorge nach solchen Eingriffen?

Sehr wichtig – und wir legen großen Wert darauf, dass die Patienten möglichst schnell wieder mobilisiert werden. Früher ließ man Patienten oft wochenlang im Bett liegen. Heute wissen wir, wie schädlich das ist – gerade für ältere Menschen. Deshalb versuchen wir, die Mobilität so früh wie möglich wiederherzustellen. Dabei helfen uns auch unsere ambulanten Rehazentren und die erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP) direkt im Klinikum St. Georg.

Und wie sieht die Zukunft der Wiederherstellungschirurgie aus?

Sehr spannend. Wir arbeiten zum Beispiel mit 3D-gedruckten Knochenmodellen, um Operationen besser planen zu können. Auch das sogenannte Tissue Engineering, also die Züchtung von Gewebe im Labor oder direkt am Patienten („in vivo“), gewinnt an Bedeutung und wird die Zukunft die Extremitätenrekonstruktion revolutionieren. Diese innovativen Methoden helfen uns nicht nur bei der Operation selbst, sondern eröffnen auch neue Perspektiven für eine bessere Nachsorge und schnellere Rehabilitation. ■

 

Traumazentrum

Im überregionalen Traumazentrum des Klinikums St. Georg werden sämtliche Krankheiten und Verletzungen des Stütz- und Bewegungsapparates, Erkrankungen des Gehirns und des Zentralen Nervensystems auf maximaler Versorgungsstufe therapiert.

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