Weltweit sind circa 850 Millionen Menschen von Nierenkrankheiten oder Niereninsuffizienz betroffen, altersabhängig etwa 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland. Leider bringen gerade die immunschwächenden Behandlungsmethoden und die Nierenersatztherapie (Dialyse) Nebenwirkungen mit sich und können den Organismus der Patienten stark belasten. Die Lebenserwartung von Nierenpatienten ist deshalb trotz der immensen Fortschritte der nephrologischen Therapie immer noch reduziert. Das Klinikum St. Georg hat die Verträglichkeit der wichtigsten Therapieformen in den Fokus genommen und möchte über die verbesserte Therapiewahrnehmung das Behandlungsergebnis verbessern.
Hierfür koordinieren die Abteilung Nephrologie und das KfH Nierenzentrum unter Leitung von Professor Dr. Beige, Chefarzt der Abteilung Nephrologie an der Klinik für Infektiologie/ Tropenmedizin, Nephrologie und Rheumatologie, personalisierte Ansätze, um individuelle, auf den Patienten abgestimmte Behandlungsmethoden zu entwickeln. So sollen Beschwerden der Patienten zukünftig verringert und Heilungsprozesse verbessert werden. Konkret werden derzeit zwei verschiedene EU-geförderte Projekte realisiert. „Das ist zum einen die Untersuchung der Dialyse-Verträglichkeit. Für eine datengesteuerte ‚Online-Dialyse‘ gibt es zwar wissenschaftliche Vorarbeiten, aber noch keine gesicherten Algorithmen, mit denen statistische Auswertungen und eine darauf basierende individuelle Steuerung der Dialyse möglich sind“, erläutert Professor Beige. Zum anderen wird von Wissenschaftlern aus fünf Partnerländern im Rahmen des ERA-PerMed-Netzwerks (European Research Personal Medicine) die individualisierte Behandlung der IgA-Nephropathie erforscht. Diese chronische Autoimmunerkrankung ist die häufigste Ursache von Nierenversagen und soll zukünftig gezielt und individualisiert therapiert werden. Für beide länderübergreifenden Projekte gibt es mit ERA-PerMed erstmals in der Region eine akademische Forschungsförderung der EU und des Bundesforschungsministeriums.
Dialyseverträglichkeit – Schlüssel zur Therapieverbesserung
Um die von den Patienten empfundene Dialyse-Verträglichkeit künftig in die Therapiesteuerung standardisiert einzubeziehen, werden die Ergebnisse einer Verträglichkeitsabfrage über eine Handy-App automatisch in die Dialyse-Datenbank eingepflegt. „Wir wollen erstmals die subjektive Verträglichkeit der Dialyse durch einen standardisierten Testfragebogen in unserem Routine-Dialysesystem des KfH-Nierenzentrums dokumentieren und die Ergebnisse digitalisieren und nutzen“, erklärt der Experte. Die Informationen werden in Echtzeit mit Daten aus der Dialysemaschine, wie Flüssigkeitsentzug, Blutdruck oder Veränderung der Herzschlag-Frequenz, kombiniert. Durch diese Messdaten der Kreislaufüberwachung entsteht die sogenannte „Smart Dialysis“, eine vernetzte Dialyse, die die Bündelung von Patientendaten und die darauf basierende automatisch-personalisierte (durch Algorithmen gestützte) Therapiesteuerung gewährleistet. Die EU-Forschungsförderung hat bei diesem Projekt besonders die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaftsingenieuren des ICCAS (Innovationszentrum für Computerassistierte Chirurgie der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig) und weiteren medizintechnischen Start-ups, Rehabilitationsmedizinern der Medizinischen Fakultät der Universität Halle, sowie Dialyseärzten aus Polen, Spanien und Deutschland gewürdigt und unterstützt.
IgA-Nephropathie – Klarheit durch Eiweiß im Urin
Als zweites Projekt des europäischen Förderprogramms untersuchen die Wissenschaftler unter der Koordination des Klinikums St. Georg mit der IgA-Nephropathie die häufigste chronische Primärerkrankung der Niere. Diese kann zu einem Nierenfunktionsverlust führen und ist durch Blut und Eiweiß im Urin und hohen Blutdruck erkennbar. Die sogenannte immunsuppressive Therapie, meist durch den Einsatz von Kortison, ist derzeit die einzige Möglichkeit, um die IgA-Nephropathie zu behandeln. „Da jedoch Nebenwirkungen auftreten können, untersuchen wir den Verlauf dieser Erkrankung durch regelmäßige Messungen von Eiweißmustern im Urin. Diese sind symptomatisch bei der IgA-Nephropathie und könnten darauf schließen lassen, wer für die Therapie geeignet ist und wer nicht“, erklärt der Nephrologe. Unterstützt wird die Forschergruppe vom Biotechnologieunternehmen Mosaiques Diagnostics aus Hannover. Im Zuge der Untersuchung wurden bislang schon erste Erfolge verzeichnet. So konnten die Mediziner bereits einen Risikoscore ermitteln, mit dem besonders von einer fortschreitenden IgA-Nephropathie gefährdete Patienten erkannt und für die immunsuppressive Therapie eingeschlossen werden können. Diese Ergebnisse werden schon ein Jahr nach Projektstart auf dem europäischen Nephrologen- Kongress im Juni 2020 vorgestellt. Ziel ist es auch hier, die Behandlung zu individualisieren, um den Patienten zukünftig eine verbesserte, personalisierte Therapie anbieten zu können. Weitere Projekte patientenbezogener klinischer Forschung im Bereich der Adipositas-assoziierten Nierenschwäche und der Dialysematerialunverträglichkeit befinden sich in der Antragsphase. Die Wirksamkeit dieser neuen EU-Förderinstrumente für die Patientenversorgung zeigt sich somit auch an nicht-universitären Einrichtungen.