Die Nieren – Das Filtersystem unseres Körpers

September 14, 2018
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Laut einer aktuellen Studie hat jeder dritte Deutsche Probleme mit den Nieren und weiß es nicht. Die Nieren arbeiten in der Regel still und leise – entgiften den Körper, bilden Urin und regeln den Blutdruck sowie wichtige Stoffwechselvorgänge. Bei Problemen rufen sie kaum spürbare Symptome hervor. Manchmal sind diese jedoch so gravierend wie bei Frau Klemm, die im vergangenen Jahr in der Abteilung für Nephrologie mit dem kooperierenden Kuratorium für Dialyse (KfH) im St. Georg behandelt wurde: Ihre Nieren stellten ganz plötzlich die Funktion ein.

Anja Klemm* erfreute sich immer bester Gesundheit. Ihr einziges Leiden seit frühester Kindheit waren Harnwegsinfektionen, die sie aber gut im Griff hatte: Sie behalf sich mit Cranberrysaft und anderen Hausmitteln. Dies versuchte sie auch im Februar 2017, als sie merkte, dass etwas nicht stimmt. „Ich habe das zunächst auf den Stress geschoben. Es war Ferienbeginn, ich wollte mit meiner Familie in den Skiurlaub fahren und es gab vorher viel zu tun“, erzählt die 46-jährige Krankenschwester. „So richtig Schmerzen hatte ich nicht.“ Als zum allgemeinen Unwohlsein ein Hüsteln hinzukam, dachte sie an die Grippe, die gerade in Leipzig grassierte, und suchte ihre Hausärztin auf. Diese diagnostizierte eine Bronchitis und verschrieb ihr ein Antibiotikum. „Zuhause ging es plötzlich ganz schnell: Ich konnte keinen Urin mehr lassen und wusste, dass ich ins Krankenhaus muss.“ Im Klinikum St. Georg wurde dann ein akutes Nierenversagen festgestellt. „Aufgrund meines medizinischen Vorwissens war mir sehr bewusst, was die Stunde für mich geschlagen hatte“, erinnert sich Frau Klemm. Im angeschlossenen Nierenzentrum wurde bald mit der Dialyse begonnen. „Das Ärzte- und Pfl egteam dort war sehr aufopferungsvoll, arbeitete trotz hohem Stresspegel ruhig und konzentriert.“ Der Chefarzt der Abteilung Nephrologie und Leiter des KfH, Prof. Dr. Beige, beschreibt die Situation rückblickend als „dramatisch“. Wir standen unter Zeitdruck: „Wenn bei dieser Erkrankung die Dialyse länger andauert, sinkt die Chance, dass die Nieren ihre Tätigkeit jemals wieder aufnehmen. Deshalb war es so wichtig, der Ursache schnellstmöglich auf den Grund zu gehen“, erklärt der Experte. Für Nierenerkrankungen gibt es zahlreiche Ursachen. Die Nephrologen veranlassten Laboruntersuchungen und nahmen eine Nierenbiopsie vor – nach einer Methode, die als besonders komplikationsarm gilt. Innerhalb von 24 Stunden wussten sie, woran sie Schätzungsweise ist jeder dritte Deutsche von Nierenproblemen betroff en. waren: „Die Patientin hatte eine Form des Goodpasture-Syndroms, einer sehr seltenen Autoimmunerkrankung, die Nieren und Lunge befällt. Weil bei Frau Klemm nur die Nieren beteiligt waren, handelte es sich um einen limitierten Verlauf“, so Prof. Dr. Beige. Trotzdem waren die Aussichten denkbar schlecht. „Die Patientin befand sich bereits in einem Stadium, in dem die Nieren normalerweise nicht mehr zu retten gewesen wären. Behandelt hätte man eigentlich nur noch, um die Lunge zu retten, was in diesem Fall aber nicht nötig war. Manche Fachkollegen hätten die nebenwirkungsträchtige Therapie deshalb unterlassen, da sie in diesem Stadium noch nie jemandem geholfen hat“, führt der Chefarzt aus. Weil die Biopsie aber ergeben hatte, dass ein Drittel der Nierenkörperchen unversehrt war, wurde anders entschieden – mit Blick auf die beginnende wissenschaftliche Diskussion zu diesem Thema. „Die Frau war außerdem jung und bis dato gesund. Nach eingehender Aufklärung und Beratung behandelten wir Frau Klemm deshalb so aggressiv wie möglich, um alle Chancen auszunutzen – mit Kortison, Chemotherapie und Plasmaaustausch.“ Als nach wenigen Wochen der Urin wiederkam, schöpften die Ärzte erstmals Hoff nung. Die Nierenwerte wurden besser und die Therapie verursachte keine Komplikationen, auch wenn sie für Frau Klemm kräftezehrend war: „Manchmal war ich so erschöpft, dass ich meinen Kopf nicht mehr heben konnte. Aber ich habe immer gehoff t, dass alles seine Richtigkeit hat und dass es sich lohnt.“ Nach mehr als acht Wochen auf Station konnte die Behandlung schließlich ambulant fortgeführt werden. Frau Klemm ging sogar stundenweise wieder arbeiten. „Irgendwann sahen wir, dass sich die Nieren soweit erholt hatten, dass die Patientin möglicherweise nie wieder zurück an die Dialyse muss. Häufi g gewinnen wir in so einer Situation lediglich noch einmal ein bis zwei Jahre Zeit. Bei dieser Erkrankungssituation ist unser Erfolg weltweit einmalig und wurde deshalb bereits wissenschaftlich publiziert“, betont Prof. Dr. Beige. „So trägt Frau Klemms Mut zu dieser Therapie und unsere Konsequenz dazu bei, zukünftig auch anderen Patienten in einer vergleichbaren Situation zu helfen“. Zwei Drittel der Patienten kommen wie Frau Klemm mit unklaren Beschwerden in die Abteilung für Nieren- und Hochdruckkrankheiten. „Wir starten dann mit einer umfangreichen Blut- und Urinuntersuchung, die uns oft erste diagnostische Ansätze verschafft. Eine der Spezialuntersuchungen unserer Abteilung ist die Gewebeprobeentnahme (Nierenbiopsie) mit anschließender Begutachtung in der Nierenpathologie am Uniklinikum Hamburg. Deren Ergebnisse setzen wir in Bezug zu den Gewebe- und Durchblutungsbefunden unserer Ultraschalluntersuchungen. Grundlage aller Überlegungen ist eine umfassende Anamnese: Mit dem Einverständnis des Patienten holen wir auch vermeintlich unwichtige Vorbefunde ein – damit wir einen Zusammenhang zur aktuellen Situation herstellen können. Wir wenden außerdem gänzlich neue Verfahren an, wie die proteomische Urinuntersuchung. Inzwischen arbeitet Frau Klemm wieder in Vollzeit. „Wenn ich es übertreibe, signalisieren mir meine Nieren, dass ich kürzer treten muss“, berichtet sie. Ihre Nierenwerte werden weiterhin alle drei Monate in der ambulanten Sprechstunde überprüft. „Ich musste mein Leben etwas umstellen, vor allem die Ernährung. Dennoch habe ich wieder eine volle Lebensqualität – kann arbeiten, reisen, meinen Hobbies nachgehen und Sport machen. Dafür bin ich sehr dankbar.“

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