Dr. med. Piotr Sokolowski im Interview – Multiple Sklerose – Die Krankheiten mit den vielen Gesichtern

September 14, 2018
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Bei Multipler Sklerose (MS) handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die meist schubartig verläuft. Ausgelöst wird sie durch körpereigene Immunzellen, die Nervenfasern in Gehirn und Rückenmark angreifen. Die Spezialisten in der Klinik für Neurologie und neurologische Intensivmedizin im Fachkrankenhaus Hubertusburg betrachten Symptome, Verlauf und Untersuchungsergebnisse gemeinsam, um die Diagnose zu sichern und den Betroffenen bestmöglich zu helfen.

Herr Dr. Sokolowski, MS wird häufig als „Chamäleon der neurologischen Erkrankungen“ bezeichnet. Warum?

Zum einen kann sich MS sehr gut tarnen und stellt auch für erfahrene Neurologen eine echte Herausforderung dar. Es gibt zahlreiche andere neurologische Erkrankungen, die von MS kaum zu unterscheiden sind. Zum anderen kann sich MS bei jedem Patienten anders äußern und die Beschwerden können sich auch im Laufe der Zeit wandeln – je nachdem, wo die Entzündungsherde und damit verbundene Vernarbungen auftreten. Die Symptome reichen von Seh-, Sprachund Bewegungsstörungen über extreme Müdigkeit bis hin zu Taubheitsgefühlen.

 

Wer ist hauptsächlich von MS betroffen?

Weltweit leben etwa zweieinhalb Millionen Menschen mit MS. Die Erkrankungshäufigkeit steigt mit der Entfernung vom Äquator an. In Deutschland leben mehr als 200.000 MS-Kranke, jährlich werden circa 2.500 Menschen neu diagnostiziert. Frauen erkranken etwa doppelt bis dreimal so häufig wie Männer. In der Regel wird MS zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr festgestellt, selten tritt sie auch schon im Kindes- und Jugendalter auf.

 

Was ist die Ursache für MS?

Die Ursache ist nach wie vor ungeklärt. Wahrscheinlich spielen Erbanlagen, Umweltfaktoren und bestimmte Viren und Bakterien eine Rolle: So kann beispielsweise Rauchen das Risiko erhöhen, ebenso ein Vitamin-D-Mangel und eine Infektion mit Epstein-Barr-Viren.

 

Welche Untersuchungen werden bei Verdacht auf MS durchgeführt?

Wir beginnen zunächst mit einer Patientenbefragung, verbunden mit einer körperlichen Untersuchung, bei der nach typischen Ausfallserscheinungen geschaut wird. Erhärtet sich der Verdacht, führen wir eine gründliche klinisch-neurologische Untersuchung durch, die unter anderem eine speziell angepasste MRT-Untersuchung des Gehirns und Rückenmarks und Laboruntersuchungen von Blut und Gehirnwasser umfasst. Hauptkriterium der Diagnose ist die räumliche und zeitliche Streuung von Entzündungsherden – also das Vorliegen von mehreren entzündeten Stellen im zentralen Nervensystem und das Entstehen neuer Herde im Verlauf der Erkrankung.

 

Wie geht es nach Diagnosestellung für die Patienten weiter?

MS ist noch nicht heilbar. Allerdings gab es in den letzten zwei Jahrzehnten bedeutende Fortschritte in der Therapie und es stehen inzwischen zahlreiche Medikamente zur Verfügung. Grundsätzlich basiert die Therapie auf drei Säulen, die sich nach dem spezifischen Krankheitsverlauf und der Krankheitsaktivität richten: Zur Behandlung von akuten Schüben werden Cortison-Medikamente eingesetzt. Ergänzend kann in unserer Klinik bei besonders schweren Schüben eine Blutwäsche durchgeführt werden. Langfristig geht es darum, Krankheitsschüben vorzubeugen, mit sogenannten verlaufsmodifizierenden Medikamenten, die das Immunsystem in Schach halten sollen. Die dritte Säule bildet die symptomatische Therapie – sprich Medikamente und therapeutische Maß- nahmen gegen die Symptome wie Antidepressiva, Physiotherapie oder Logopädie.

 

Ist eine Schwangerschaft für MS-erkrankte Frauen gefährlich?

Aus medizinischer Sicht steht einer Schwangerschaft nichts entgegen. Es ist eher so, dass der Verlauf der MS während einer Schwangerschaft positiv beeinflusst wird – die Schubrate sinkt häufig. Aus Studien geht außerdem hervor, dass anschließendes Stillen das Risiko für Schübe senkt.

 

Dürfen MS-Erkrankte Sport treiben?

Sport und Bewegung sind gut für Körper und Seele – das gilt auch für MS-Patienten. Bei ihnen kann Sport darüber hinaus ein wichtiger Therapiebaustein sein. Verschiedene MS-Symptome wie Müdigkeit, Spastiken und Koordinationsstörungen können verbessert werden. Ein gezieltes Training, das Ausdauer, Kraft, Koordination und Gleichgewicht schult, kann helfen, den Alltag besser zu bewältigen. Wichtig ist, eine geeignete Sportart zu finden und die persönlichen Belastungsgrenzen zu beachten.

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