Oberarzt Dr. med. Mario Sterker im Interview – Schlaganfall: Wenn jede Minute zählt

Januar 18, 2019
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Die neurologische Komplexbehandlung auf der Stroke Unit

Jedes Jahr erleiden in Deutschland etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall, mehr als 80 Prozent der Betroffenen sind über 60 Jahre alt. Der Schlaganfall ist hierzulande ursächlich für die meisten Behinderungen und eine der häufigsten Todesursachen. Für den Heilungsverlauf entscheidend ist eine schnelle intensivmedizinische und interdisziplinäre Behandlung, wie sie am Klinikum St. Georg geboten wird.

Herr Dr. Sterker, was genau passiert eigentlich bei einem Schlaganfall?

Bei einem Schlaganfall handelt es sich um eine akute Hirnfunktionsstörung. Diese wird in den meisten Fällen dadurch verursacht, dass eine Hirnschlagader verstopft – durch ein Gerinnsel oder eine Verkalkung. Die zweite mögliche Ursache ist eine Hirnblutung, bei der es zu einer plötzlichen Zerreißung einer Hirnarterie kommt, die einen Bluterguss im Gehirn erzeugt. Wegen dieser Störung der Blutversorgung werden die Nervenzellen nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und anderen Substraten versorgt. Je nachdem, wie lange und stark die Versorgung unterbrochen wird, kann das betroffene Gehirnareal seine Aufgabe vorläufig oder dauerhaft nicht mehr erfüllen. Je früher die Helfer reagieren, desto besser die Heilungschancen.

Mit welchen Symptomen äußert sich ein Schlaganfall?

Bei den meisten Menschen macht sich ein Schlaganfall durch Lähmungserscheinungen bemerkbar – typischerweise nur auf einer Seite: Der linke oder rechte Arm kann plötzlich nicht mehr bewegt werden, ebenso das Bein, häufig hängt auch der Mundwinkel auf der entsprechenden Seite herunter. Hinzu kommen möglicherweise Wahrnehmungsstörungen in dieser Körperhälfte. Das dritte wichtige Symptom sind Sprach- oder Sprechstörungen: Der Patient kann sich nicht mehr adäquat äußern und ist eventuell auch nicht mehr in der Lage, Sprache zu verstehen. Im Zweifelsfall gibt der FAST-Schnelltest Aufschluss, dessen Abkürzung für „Face – Arms – Speech – Time“ (Gesicht – Arme – Sprache – Zeit) steht: Bitten Sie den Betroffenen zu lächeln, beide Arme gleichzeitig zu heben und einen einfachen Satz nachzusprechen. Wenn er dabei Probleme hat, zählt jede Minute.

Was halten Sie von neu entwickelten Apps, die versprechen einen Schlaganfall zu erkennen, indem sie das Lächeln oder die Sprache des Smartphone-Besitzers analysieren?

Es ist gut vorstellbar, dass solche technischen Hilfsmittel funktionieren. Wenn man bedenkt, dass auch die Apple Watch zukünftig in der Lage sein soll, Vorhofflimmern zu erkennen und somit einen hohen Risikofaktor für einen Schlaganfall ausfindig zu machen.

Was muss ich tun, wenn ich vermute, dass jemand einen Schlaganfall erlitten hat?

Wählen Sie sofort den Notruf 112! Bleiben Sie bis zum Eintreffen der Sanitäter bei dem Betroffenen und sprechen Sie mit ihm. Wenn er erbricht, sollten Sie ihn in die stabile Seitenlage bringen. Beengende Kleidungsstücke sollten geöffnet werden. Ansonsten sollten Sie Ihn weiterhin beobachten, damit Sie später genau schildern können, wann was passiert ist.

Wie wird ein Schlaganfall im Klinikum St. Georg behandelt?

Das Klinikum St. Georg verfügt über eine von zwei zertifizierten Stroke Units in Leipzig – eine Schlaganfall-Spezialstation, auf der zunächst geklärt wird, ob ein Schlaganfall vorliegt. Im zweiten Schritt wird mithilfe von bildgebenden Verfahren überprüft, ob es sich um eine Verstopfung oder eine Blutung im Gehirn handelt. Liegt eine Arterienverstopfung (Thrombose) vor, geht es darum, das Gefäß wieder zu eröffnen. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten: So kann beispielsweise ein Blutgerinnsel auflösendes Medikament über die Vene verabreicht werden. Sind größere Hirngefäße betroffen, findet im Klinikum St. Georg ein anderes, innovatives Verfahren Anwendung: Die Thrombektomie, bei der das Gerinnsel mit einem hauchdünnen Katheter aus dem Blutgefäß herausgeholt wird. Bei einer Hirnblutung ist je nach Fall eine Operation notwendig, bei der die Blutung gestoppt und das Nervengewebe von umliegendem Blut befreit wird.

Wie geht es nach der Akutbehandlung weiter?

Im Anschluss geht es darum, die konkrete Ursache für den Schlaganfall abzuklären. Es wird dann unter anderem untersucht, ob der Patient mit Risikofaktoren wie Gefäßengstellen, Vorhofflimmern, Bluthochdruck oder Diabetes belastet ist. Um einen erneuten Schlaganfall zu verhindern, werden gegebenenfalls Medikamente verordnet. Der Patient wird außerdem frühzeitig rehabilitiert, das heißt, wieder fit für den Alltag gemacht: Tagtäglich sind Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden vor Ort, die mit ihm arbeiten. Wenn er trotz aller Bemühungen weiterhin motorische, kognitive und/oder sprachliche Defizite aufweist, folgt eine dreiwöchige Behandlung in einer Rehabilitationsklinik.

In meiner Familie sind bereits mehrere Schlaganfälle aufgetreten. Was bedeutet das für mich?

Der Schlaganfall ist keine genetische Erkrankung im engeren Sinne, die Situation ist vielmehr vor allem vom individuellen Risikoprofil abhängig. Man sollte also nicht in Panik verfallen, sondern schauen, woran es im Einzelnen gelegen hat: Bestimmte Risikofaktoren sind nämlich durchaus vererbbar, zum Beispiel Bluthochdruck oder erhöhte Blutfettwerte. An dieser Stelle kann man ansetzen und entsprechend vorbeugen – mit einer gesunden Lebensweise und gegebenenfalls mit Medikamenten. Beispielsweise kann das Schlaganfallrisiko deutlich durch regelmäßige körperliche Bewegung und den Verzicht auf übermäßigen Alkoholkonsum und Zigaretten gesenkt werden.

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