Im Rausch der Unterhaltungsflut

April 01, 2015
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Screenshot 2015-04-01 10.18.12Es blinkt, pingt und schreit nach Aufmerksamkeit: Das Smartphone eröffnet in unserer heutigen Informations- und Kommunikationskultur ungeahnte Freiheiten. Die praktischen Alleskönner sind Telefon, Wecker, Fotoapparat, MP3-Player, Spielkonsole und Informationsmedium in einem. Über Facebook, Instagram oder Whatsapp ermöglichen sie Kommunikation in Sekundenschnelle. „Gerade weil man so viel mit dem Handy machen kann, hatte ich es eigentlich permanent in der Hand – sei es beim Einkaufen, Joggen oder auf der Couch. Einfach mal nichts zu tun, das gab es für mich nicht“, erinnert sich Leonie Richter.

Für die 22-jährige Studentin ist ihr Handy zu einem Gefährten geworden, der sie in allen Lebenslagen begleitet. Bis zu neun Stunden täglich verbrachte sie mit Spielen, Chatten, Musik hören, Telefonieren oder im Internet surfen. Welche Wirkung ihr dauerhafter Handykonsum auf ihr Umfeld hatte, nahm sie erst viel zu spät wahr: „Ich saß mit einer Freundin im Café und sie erzählte mir von ihrem neuen Job. Ich habe es nicht einmal gemerkt, wie ich währenddessen zum Handy griff und eine Nachricht schrieb. Plötzlich stand meine Freundin auf und ist ohne ein Wort gegangen.“ Der Versuch, die Benutzung einzuschränken, war für sie jedoch eine Qual. „Ich wurde bereits nervös, wenn ich sah, dass der Akku zur Neige ging. Das Handy nicht in Reichweite zu haben, versetzte mich regelrecht in Panik“, schildert Leonie Richter.

Für Dr. Peter Grampp, Ärztlicher Leiter am Fachkrankenhaus Hubertusburg in Wermsdorf, ist die zunehmende Bedeutung, die Smartphones in der gesamten Gesellschaft einnehmen, bedenklich. In seiner Sprechstunde behandScreenshot 2015-03-30 15.41.10elt der Psychotherapeut inzwischen verstärkt Menschen, die sich ein Leben ohne die mobilen Alleskönner nicht mehr vorstellen können. „Wenn das Handy eine über den reinen Zweck hinausgehende Bedeutung erhält und wir ständig damit hantieren, wird es kritisch“, warnt der Mediziner. Doch mit der zunehmenden Verbreitung der Smartphones steigt auch die Zahl der Dauernutzer. Bereits 40,4 Millionen Deutsche besitzen eines. Noch gilt die Abhängigkeit in Deutschland nicht offiziell als Erkrankung, doch „der Drang, der einen wiederholt zum Handy greifen lässt, gleicht dem einer Sucht. Es wird verstärkt das Hormon Dopamin ausgeschüttet, das ein positives Gefühl verschafft“, erklärt Dr. Grampp. Dieses Glücksempfinden kann süchtig machen. Besonders anfällig dafür sind nach den Aussagen des Facharztes Menschen, die unter Einsamkeit, Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen leiden.

In Einzelgesprächen und Gruppentherapien versucht der 53-Jährige Psychotherapeut den Problemen seiner Patienten auf den Grund zu gehen und ihren Handygebrauch auf ein normales Maß zu reduzieren. „Menschen, die ihr Smartphone voll im Griff hat, müssen verstehen, dass dies nicht das reale Leben ist“, so Dr. Grampp. Auch Leonie Richter befindet sich seit zwei Monaten bei ihm in Behandlung: „Die Therapie hat mir bereits sehr geholfen. Mit meinem Freund habe ich mir einen Tag in der Woche ausgemacht, an dem wir das Handy einfach ausschalten und uns nur auf uns konzentrieren.“ Noch vor einem Monat wäre das für sie undenkbar gewesen.

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