Schwierige Zeiten bewältigen – Gedächtnislücken schliessen mit dem Intensivtagebuch

September 14, 2018
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Der Aufenthalt auf einer Intensivstation ist für Patienten und Angehörige eine Belastungssituation, die lange nachwirken kann. Ein Intensivtagebuch aus dieser Zeit auf der Station kann helfen, die Situation im Nachhinein besser zu verstehen.

Manche Erkrankungen machen eine Beatmung und damit einen Aufenthalt auf einer Intensivstation notwendig. Während dieser Zeit erhalten die Patienten in der Regel Medikamente, die ihr Bewusstsein und ihre Wahrnehmung beeinfl ussen – sie werden in das sogenannte künstliche Koma versetzt. Nach Besserung des Zustandes werden sie wieder klarer beziehungsweise wacher und können dann meist von der Beatmung entwöhnt und verlegt werden. Der Weg zurück ins Leben fällt häufi g trotzdem schwer: Viele ehemalige Intensivpatienten leiden unter Schlafstörungen, Gereiztheit, Schreckhaftigkeit oder gar Wahnvorstellungen. Etwa jeder fünfte entwickelt eine solche sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Oftmals wird dieser Zustand als Phase starker Verwirrtheit empfunden. Ursache ist zum einen, dass eine Lücke in das Leben der Patienten gerissen wurde, ihnen mehrere Tage oder gar Wochen fehlen. Zum anderen, dass die Umwelt im künstlichen Koma nicht wie gewohnt wahrgenommen wurde, Reize aber dennoch zum Gehirn vorgedrungen und dort verarbeitet worden sind: Dies können beispielsweise verschiedene Stimmen, die Alarmtöne der Maschinen oder Berührungen beim Waschen, Lagern oder Untersuchen sein. Traum und Realität können dadurch auf beängstigende Weise verschwimmen. Im Nachhinein können diese bruchstückhaften Erinnerungen meist nur schwer eingeordnet werden.

In der Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin am Klinikum St. Georg wird den Angehörigen deshalb empfohlen, ein gemeinsames Intensivtagebuch zu führen. Besucher, Pfl eger, Ärzte und Therapeuten halten darin Beobachtungen, Entwicklungsschritte, durchgeführte Untersuchungen und Äußerungen des Patienten fest und helfen ihm somit dabei, später den Anschluss an sein Leben wiederzufi nden. Dieses simple, aber wirkungsvolle Instrument wurde in den späten 1980er-Jahren in Skandinavien entwickelt und fi ndet im St. Georg bereits seit vielen Jahren Anwendung. „Wir beginnen in der Regel am ersten Tag der Aufnahme mit den Aufzeichnungen, denn gerade die ersten Tage sind am ereignisreichsten“, erklärt die stellvertretende Stationsleiterin Madlen Fischer. „Wir gehen dann auf die Angehörigen zu, erklären ihnen das Konzept, händigen ihnen unsere Broschüre aus und lassen sie eine Einverständniserklärung unterschreiben.“ Gerade auch für Angehö- rige sei es tröstend, Gedanken und Sorgen aufzuschreiben, wobei natürlich auch von Interesse ist, was zuhause passiert, betont Madlen Fischer. Nach dem Aufwachen kann der Patient selbst das Tagebuch weiterführen, seine Erinnerungen und Träume darin festhalten. Dabei steht es den Beteiligten selbstverständlich frei, wie sie sich mitteilen möchten: Ob im Telegrammstil, in ausformulierten Sätzen, mit Fragen, Daten und Fakten oder mit Zeichnungen, Bildern oder Fotos – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Die Hauptsache ist, dass die Aufzeichnungen gut lesbar sind und nicht die persönliche Würde verletzen. Für das Team der Intensivmedizin steht fest, dass sich der Aufwand lohnt: „Für uns ist das Intensivtagebuch eine Herzensangelegenheit, für die wir uns trotz stressigem Klinikalltag Zeit nehmen“, so Frau Fischer weiter. Die Rückmeldungen sind mehr als positiv.

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